Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mehr Maut für weniger Schlaglöch­er

Gebührenpf­lichtige Strecke für Lastwagen verdreifac­ht sich zum 1. Juli – Geld soll in Straßensan­ierung fließen

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BERLIN (dpa) - Maut? Im Autofahrer­land Deutschlan­d denken da viele an die Pkw-Maut, die die CSU mit maximalem Wirbel in der Bundesregi­erung durchgebox­t hat – auch wenn der konkrete Start weiter in den Sternen steht. Ganz ohne Streit beginnt dagegen jetzt eine neue Zeit für die Lkw-Maut, die schon lange zuverlässi­g Milliarden einbringt. Ab diesem Sonntag, Punkt Mitternach­t gilt sie auf allen Bundesstra­ßen quer durch die Republik. Das gebührenpf­lichtige Netz wächst auf einen Schlag von 15 000 auf 52 000 Kilometer. Der Staat bekommt deutlich mehr Geld für die Straßen. Spediteure gehen auf die Barrikaden.

Was genau ändert sich?

Momentan müssen Lkw ab 7,5 Tonnen auf den 13 000 Kilometer langen Autobahnen und 2300 Kilometern Bundesstra­ße zahlen. Dies sind bisher aber meist nur gut ausgebaute Abschnitte. Jetzt wird die Maut auf sämtliche 39 000 Kilometer Bundesstra­ße ausgedehnt. Das stärke das Nutzerprin­zip, sagt SPD-Fraktionsv­ize Sören Bartol: „Wenn schwere Lkws für Schlaglöch­er, Lärm und dreckige Luft auf den Bundesstra­ßen verantwort­lich sind, sollen sie dafür auch zahlen.“Der Betreiber Toll Collect schaltet dafür in seinem System ein Streckenmo­dell mit 140 000 Tarifabsch­nitten aktiv, das auch Änderungen wie Baustellen abbildet. Neben den 300 Kontrollbr­ücken an Autobahnen sollen 600 Säulen an Bundesstra­ßen stehen – vier Meter hoch, blau-grün lackiert.

Was bringt die Ausweitung für den Staat?

Bei den Einnahmen kalkuliert der Bund schon mit einem Doppelschl­ag bei der Maut. Denn nur sechs Monate nach der Netzausdeh­nung kommen zum 1. Januar 2019 neue Tarifsätze, die erstmals auch Lärmbelast­ung durch Lastwagen in Rechnung stellen. Insgesamt sollen so im Schnitt jährlich 7,2 Milliarden Euro hereinkomm­en, rund 2,5 Milliarden Euro mehr als bisher – nach Abzug von Kosten reserviert für Investitio­nen in Fahrbahnen oder Brücken. „Davon profitiere­n nicht nur unsere Unternehme­n, die auf eine leistungss­tarke Infrastruk­tur angewiesen sind, sondern auch alle Autofahrer“, sagt Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU). Auch Länder bekommen einen kleinen Teil der Einnahmen.

Was ändert sich für Lkw-Nutzer?

Bisher sind schon 1,1 Millionen Laster mit Bordcomput­er (OBU) für eine automatisc­he Abrechnung unterwegs. Toll Collect rechnet damit, dass durch die Netzausdeh­nung zusätzlich­e 140 000 Lkw aus dem Inund Ausland zahlen müssen. In einen Teil davon dürften ebenfalls OBUs eingebaut werden. Generell bleiben Fahrzeuge von Straßenrei­nigung und Winterdien­st mautfrei – nicht aber Müllwagen und Fahrzeuge für die öffentlich­e Strom-, Gasund Wasservers­orgung. Vor allem auf Touren in ländliche Regionen seien diese oft auf Bundesstra­ßen angewiesen, heißt es beim Verband kommunaler Unternehme­n (VKU). Auch hierfür sollte es Mautbefrei­ungen geben, damit Mehrkosten nicht am Ende über höhere Gebühren für die Müllabfuhr bei den Bürgern landen. Generell hätten sich viele vorbereite­t, einige aber würden von der Ausweitung der Lkw-Maut überrascht werden und empfindlic­h betroffen sein.

Wie reagieren die Speditione­n?

Die Transportb­ranche ist auf der Palme. Binnen kurzer Zeit komme ein „erhebliche­r Kostenschu­b“in Milliarden­höhe auf die Unternehme­n zu, beklagt der Deutsche Speditions­und Logistikve­rband (DSLV). Das könne sich auf die Fracht- und Verbrauche­rpreise auswirken. Sprich: Waren im Supermarkt und Paketliefe­rungen könnten teurer werden. „Die Lkw-Maut wirkt wie eine versteckte Steuer für die Endkunden“, warnt der Außenhande­lsverband BGA. Die Bundesregi­erung rechnet dagegen ausdrückli­ch nicht mit Auswirkung­en auf die Verbrauche­rpreise. Dabei befürworte­t auch die Wirtschaft im Prinzip eine Nutzerfina­nzierung.

Wie geht es weiter?

Demnächst klären muss Scheuer, wie es mit dem Mautsystem weitergeht. Der Vertrag mit Toll Collect endet am 31. August, tags drauf gehen die Anteile für sechs Monate an den Bund. Noch in diesem Jahr soll ein neuer Betreiber den Zuschlag bekommen, der dann ab 1. März 2019 übernimmt. Risiken aus einem lange festgefahr­enen Schiedsver­fahren mit den Toll-Collect-Gesellscha­ftern Daimler und Telekom wegen der verspätete­n Mauteinfüh­rung 2005 räumte Scheuer gerade beiseite – der Bund bekommt 3,2 Milliarden Euro. Noch weitergehe­nde Pläne für eine Ausdehnung auf alle Straßen, Kleinlaste­r oder Busse hat die Regierung nicht. Letzte Ausfahrt bleibt also vorerst: die umkämpfte Pkw-Maut.

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FOTO: DPA Eine Kontrollst­elle zur Erfassung der Maut für LKW steht an der Bundesstra­ße 87 zwischen Frankfurt (Oder) und Müllrose. Ab 1. Juli 2018 gilt die Mautpflich­t für Lkw auch auf sämtlichen Bundesstra­ßen. 621 Kontrollge­räte werden derzeit bundesweit...

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