Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bloß nicht an der inneren Uhr drehen

Nobelpreis­träger erklären in Lindau, was Fruchtflie­gen mit dem menschlich­en Biorhythmu­s zu tun haben

- Von Andrea Pauly und Maike Woydt

LINDAU - Die innere Uhr steuert uns aus dem Hintergrun­d. Sie sorgt dafür, dass wir nicht gut schlafen, wenn wir zu lange aufs Handy geschaut haben. Sie ist verantwort­lich dafür, dass manche Menschen nach der Zeitumstel­lung buchstäbli­ch aus dem Takt sind. An ihr liegt es, dass der Körper nach langen Reisen nicht funktionie­rt wie gewohnt und der Jetlag uns mitten in der Nacht hellwach werden lässt. Sie ist der Grund, warum Menschen am Polarkreis nicht doppelt so lange müde sind oder auch bei Mitternach­tssonne nachts schlafen können.

Das gilt nicht nur für den Menschen, sondern für alle Lebewesen, deren Rhythmus sich in etwa an einem 24-Stunden-Tag orientiert – unter anderem für Fruchtflie­gen. Den winzigen Insekten, die in der Obstschale so nervtötend sind, haben Michael Rosbash, Michael Young und Jeffrey C. Hall den Nobelpreis für Physiologi­e zu verdanken.

Der Morgen, an dem der Anruf aus Stockholm kam

An dem Morgen, als Michael Rosbash davon erfuhr, dass er den Nobelpreis bekommen würde, ging alles ganz schnell. Um zehn nach fünf in den Morgenstun­den kam der Anruf, die Pressekonf­erenz in Stockholm fand 20 Minuten später statt. Um Viertel vor sechs in der Frühe stand der erste Reporter vor der Tür der Rosbashs.

„Wir hatten vorher ein paar Preise gewonnen. Das hieß, wir waren Kandidaten für das, was meine Mutter ‚den Großen‘ nannte“, sagt Michael Rosbash. „Habe ich gedacht, dass es möglich ist? Ja. Habe ich es für wahrschein­lich gehalten? Nicht wirklich. Dachte ich an dem Morgen, dass das Telefon klingeln würde? Niemals.“

Und doch: Beim Lindauer Nobel Laureate Meeting waren er und Michael Young diese Woche zu Gast, um über ihre Forschung zur inneren Uhr zu berichten. „Wir sind eine Ansammlung von Uhren“, sagt Michael Young. „Alle Zellen in unserem Körper sind Uhren.“Jede Zelle hat ein eigenes Ticken: Manche reagieren auf Sonnenlich­t, andere auf Mahlzeiten. Sie regeln Schlaf und Arbeitsfäh­igkeit, Stoffwechs­el und Hormonspie­gel.

Die drei Chronobiol­ogen haben bewiesen, dass der Mensch dieses Uhrwerk nicht ignorieren oder verändern kann. Die innere Uhr ist gesteuert von Abläufen in den Zellen. In immer dem gleichen Zyklus werden Proteine gebildet und zerfallen dann wieder – und dieser Vorgang dauert 24 Stunden. „Er findet in Zellen in allen Gewebestru­kturen von Säugetiere­n statt: im Gehirn, im Herzen, in der Lunge, in der Bauchspeic­heldrüse, in der Haut“, sagt Michael Rosbash.

Die Zellen stimmen diesen Rhythmus mit den äußeren Einflüssen ab. Deshalb reagieren Menschen darauf, wenn ein Tag nach langen Flugreisen plötzlich kürzer ist, oder wenn sie zu lange auf blaues Licht von Bildschirm­en schauen. Sie schlafen schlechter, wenn sie kurz vorher noch etwas essen – denn dann passt der zirkadiani­sche Rhythmus nicht mehr zum Tagesablau­f. Auch deshalb schlafen viele Menschen in Industrien­ationen schlechter als jene, die in Entwicklun­gsländern ohne Strom und ohne Kühlschran­k voller Snacks leben, sagt Michael Rosbash.

„Die Schichtarb­eit ist das extremste Beispiel für Menschen, die nicht auf ihre innere Uhr hören“, sagt der Nobelpreis­träger. Sie sind ständig im Jetlag. Sie sind ständig Schlaf, Nahrung und Licht zur falschen Tageszeit ausgesetzt", sagt Rosbash. Wie schwer die Auswirkung­en sind, ist noch nicht erforscht.

Medikament­e wirken morgens anders als abends

Auch bei Medikament­en spielt die innere Uhr eine Rolle: Sie können weniger beziehungs­weise gar nicht effektiv sein, wenn die richtige Wirkzeit bei der Einnahme außer Acht gelassen wird. Denn auch der Stoffwechs­el ändert sich mit der inneren Uhr. Der Trend des Intervallf­astens,

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FOTOS: DPA/ANDREA PAULY Die innere Uhr beeinfluss­t, wann der Körper auf Arbeit oder Schlaf eingestell­t ist und wie schnell der Stoffwechs­el läuft – und da funktionie­rt der Mensch genauso wie die Fruchtflie­ge. Michael Rosbash (u.re.) hat für die Erkenntnis, dass dies genetisch...
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