Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rosinenbom­ber retten vor 70 Jahren Westberlin

Während der Sowjetbloc­kade versorgten Flugzeuge die Bewohner aus der Luft

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BERLIN (dpa/epd) - Es war die erste große Krise des Kalten Krieges und der Beginn der heute wieder knirschend­en deutsch-amerikanis­chen Freundscha­ft: Vor 70 Jahren begann die Berliner Luftbrücke – eine einzigarti­ge Operation.

Erst kam das Donnern der Flugzeuge, dann schwebten zahllose kleine Fallschirm­e mit Süßigkeite­n vom Himmel. Die Berlinerin Vera Hemmerling (84) erinnert sich noch an die Rosinenbom­ber, die während der Blockade Westberlin­s die Stadt nicht nur mit Lebensmitt­eln und Kohle, sondern auch mit kleinen Geschenken für die Kinder versorgten. „Ich bin auch ein paarmal hingelaufe­n, aber ich habe nie was erwischt. Die Jungen waren immer schneller“, erzählt die weißhaarig­e Dame mit einem kleinen Lächeln.

Die Abriegelun­g beginnt am 24. Juni 1948. Um 6 Uhr morgens lässt der sowjetisch­e Staatschef Josef Stalin die Autobahnen in die Westsektor­en Berlins sperren. Sämtliche Straßen, Bahnlinien und Wasserwege folgen, der Strom wird abgeschalt­et. Westberlin soll – als Antwort auf die Einführung der D-Mark – buchstäbli­ch ausgehunge­rt werden.

Eine beispiello­se Aktion

Die USA, Großbritan­nien und Frankreich antworten mit einer bis heute beispiello­sen Aktion. Fast ein Jahr lang, genau 322 Tage, versorgen sie die mehr als zwei Millionen Einwohner des blockierte­n Westteils der Stadt über eine Luftbrücke. Am 26. Juni 1948 geht es offiziell los. Bis Anfang Juli treffen gut 300 Douglas C-54 Skymaster – die größten militärisc­hen Lastenflie­ger – aus aller Welt ein. Die Maschinen transporti­eren Kohle, Benzin, Medikament­e und Nahrungsmi­ttel, darunter vor allem Getreide, Mehl, Trockenmil­ch und Trockenkar­toffeln.

„Wir Kinder hatten nach den Bombennäch­ten im Krieg immer noch Angst vor Flugzeugge­räuschen“, erzählt Vera Hemmerling, die damals 14 war. „Aber bald hatten wir Angst, keine Flugzeuge zu hören, etwa wenn es Nebel gab oder zu schlechtes Wetter. Das bedeutete keinen Zucker, kein Mehl, keine Kohlen. Das bedeutete Hunger.“

Der amerikanis­che Militärgou­verneur in Deutschlan­d, General Lucius D. Clay, und das damalige Westberlin­er Stadtoberh­aupt Ernst Reuter sind bis heute Hemmerling­s Helden: „Ohne sie hätten wir nicht überlebt. Ohne sie wäre die deutsche Einheit nicht gekommen.“Clay kann nach einem Vorschlag des britischen Luftkomman­danten Rex Waite die Briten, teils auch die Franzosen für den gigantisch­en „Airlift“gewinnen, Reuter sagt ihm den Durchhalte­willen der Berliner zu. „Kümmern Sie sich um die Luftbrücke, ich kümmere mich um die Berliner“, ist als geflügelte­s Wort von Reuter überliefer­t.

Die „Operation Vittles“(Lebensmitt­el), zunächst nur für 45 Tage geplant, nimmt bald unvorstell­bare Ausmaße an. 300 Flugzeuge sind ständig im Einsatz, alle 90 Sekunden startet und landet eine Maschine in der Stadt. Innerhalb von nur 85 Tagen entsteht als dritter Flughafen Tegel. Insgesamt legen die Lebensmitt­eltranspor­ter 175 Millionen Kilometer zurück – das entspricht einer Strecke rund 4400-mal um die Erde.

Berühmthei­t erlangt US-Luftbrücke­n-Pilot Gail Halvorsen, „Onkel Wackelflüg­el“genannt. Der heute 97Jährige wirft im Landeanflu­g selbstgeba­stelte Taschentuc­h-Fallschirm­e mit Schokolade und Kaugummis ab, als Erkennungs­zeichen wackelt er kurz zuvor mit den Flügeln seiner C-54. Viele Kollegen folgen seinem Beispiel. Das Bild des US-Fotografen Henry Ries von einer Gruppe wartender Kinder am Flughafen Tempelhof wird zum Symbol.

Wendepunkt für das Verhältnis

„Drei Jahre nach Ende des Krieges war die Luftbrücke für die spätere Bundesrepu­blik ein Wendepunkt im Verhältnis zu den Westmächte­n: Aus Besatzern wurden Freunde“, sagt der Direktor des Berliner Alliierten­museums, Jürgen Lillteiche­r und betont, wohl auch mit Blick auf das derzeit eher angespannt­e Verhältnis zu den USA: „Auch heute kann die beispiello­se Solidaritä­t von damals uns erinnern, dass wir alle gemeinsame­n Werten verpflicht­et sind.“

Am 12. Mai 1949 hebt die Sowjetunio­n die Blockade Westberlin­s auf. Die Versorgung­sflüge gehen sicherheit­shalber noch bis Ende September weiter. Insgesamt sterben mindestens 78 Menschen bei der Aktion – 39 Briten, 31 Amerikaner und acht oder gar mehr Deutsche. Unfälle beim Verladen sind häufig, auch stürzen mehrere Flugzeuge ab. Ein 1951 eingeweiht­es Denkmal vor dem mittlerwei­le stillgeleg­ten Flughafen Tempelhof erinnert an diese Opfer.

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FOTOS: DPA Kinder in Westberlin erwarteten sehnsüchti­g die Transportm­aschinen.
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Vera Hemmerling erinnert sich an die Rosinenbom­ber.

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