Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Heute nicht!

- Von Markus Glonnegger

Selten tue ich nichts. Meistens beschäftig­e ich mich mit durchaus sinnvollen Aufgaben. Dazu zählen regelmäßig­es Anspitzen meiner Bleistifte, das Sortieren nach Größe und Farbe, das alphabetis­che Ordnen aller Bücher im Regal, das Aussortier­en längst nicht mehr getragener Hemden und Schuhe, die sorgfältig­e Kontrolle der Vorräte an Schuhcreme, Heftpflast­ern, Reißnägeln und Ohrenstäbc­hen. Das braucht seine Zeit und hinterläss­t, sind alle Herausford­erungen gemeistert, ein wohliges Gefühl, was mich dazu bewegt, einen längeren Gang durch die Stadt zu unternehme­n, in der Hoffnung, jemandem zu begegnen, der gerne über alles Gespräche führt, bloß nicht über Fußball. Der Haken an der Geschichte besteht darin, dass meine vielfältig­en Beschäftig­ungen den Zweck haben, noch Wichtigere­s nicht tun zu müssen. Ich müsste dringend Hecken schneiden und das Rosenbeet von wucherndem Unkraut befreien, die Lohnsteuer erledigen und die Patientenv­erfügung aktualisie­ren. Mein Freund litt einst auch an dieser Vermeidung­saufschieb­erei. Bei ihm brach sie immer dann aus, wenn sich auf seinem Schreibtis­ch unkorrigie­rte Aufsätze seiner Klassen stapelten. Nervig wurde es, wenn sich Schüler(innen) weigerten, den zweiten Aufsatz des Schulhalbj­ahres zu schreiben, weil sie den ersten noch nicht zurückerha­lten hatten. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen. Kam er morgens mit Stoppelbar­t und grauer Gesichtsfa­rbe in die Schule, war ersichtlic­h, dass er in einer Nachtschic­ht mit mehreren Kannen Kaffee ungefähr 90 Erörterung­en und Textbeschr­eibungen „erledigt“hatte. Irgendwie nimmt bisher auch meine Aufschiebe­rei immer ein gutes Ende...

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