Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Heute nicht!
Selten tue ich nichts. Meistens beschäftige ich mich mit durchaus sinnvollen Aufgaben. Dazu zählen regelmäßiges Anspitzen meiner Bleistifte, das Sortieren nach Größe und Farbe, das alphabetische Ordnen aller Bücher im Regal, das Aussortieren längst nicht mehr getragener Hemden und Schuhe, die sorgfältige Kontrolle der Vorräte an Schuhcreme, Heftpflastern, Reißnägeln und Ohrenstäbchen. Das braucht seine Zeit und hinterlässt, sind alle Herausforderungen gemeistert, ein wohliges Gefühl, was mich dazu bewegt, einen längeren Gang durch die Stadt zu unternehmen, in der Hoffnung, jemandem zu begegnen, der gerne über alles Gespräche führt, bloß nicht über Fußball. Der Haken an der Geschichte besteht darin, dass meine vielfältigen Beschäftigungen den Zweck haben, noch Wichtigeres nicht tun zu müssen. Ich müsste dringend Hecken schneiden und das Rosenbeet von wucherndem Unkraut befreien, die Lohnsteuer erledigen und die Patientenverfügung aktualisieren. Mein Freund litt einst auch an dieser Vermeidungsaufschieberei. Bei ihm brach sie immer dann aus, wenn sich auf seinem Schreibtisch unkorrigierte Aufsätze seiner Klassen stapelten. Nervig wurde es, wenn sich Schüler(innen) weigerten, den zweiten Aufsatz des Schulhalbjahres zu schreiben, weil sie den ersten noch nicht zurückerhalten hatten. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen. Kam er morgens mit Stoppelbart und grauer Gesichtsfarbe in die Schule, war ersichtlich, dass er in einer Nachtschicht mit mehreren Kannen Kaffee ungefähr 90 Erörterungen und Textbeschreibungen „erledigt“hatte. Irgendwie nimmt bisher auch meine Aufschieberei immer ein gutes Ende...