Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Robert Seethaler zieht 300 Zuhörer in seinen Bann

Schriftste­ller hat im Schwörsaal aus seinem neuen Roman „Das Feld“gelesen

- Von Dorothee L. Schaefer

RAVENSBURG - Dreihunder­t Literaturi­nteressier­te füllten den Schwörsaal bis fast auf den letzten Platz zur Lesung des österreich­ischen Autors Robert Seethaler, 1966 in Wien geboren und dort sowie in Berlin lebend. Hoch gewachsen, im weißen T-Shirt sitzt er fast ein wenig gekrümmt an dem kleinen Vorlesetis­ch neben der Ravensburg­er Autorin Karin Nowak. Sie übernimmt die moderieren­de Vorstellun­g für den Veranstalt­er RavensBuch.

Doch sehr bald sind alle gefangen von dem Erzähler selbst, der die Aufzählung seiner frühen Jobs, die ungefähr zwei Dutzend verschiede­ne umfasst, und seiner Karriere als Schauspiel­er in Kino und TV zu Beginn mit freundlich­er Ironie – „das ist aber ziemlich lange her“– und bescheiden­er Relativier­ung zu einer eigenen, bereits literarisc­hen Erklärung nutzt. Hinter „bierglasbo­dendicken Brillenglä­sern“habe er unter seinen 19 Minus-Dioptrien fürchterli­ch gelitten, sich „ein Schattenwe­lt-Selbst geschaffen und versucht, sich ans Licht zu heben“. Der Besuch einer Schauspiel­schule sei erst schön, dann aber eine einzige Verletzung gewesen. Mehrere Operatione­n an den Augen und das Tragen von Kontaktlin­sen habe ihm ab 2001 den Weg eines Autors eröffnet. „Ich bin zurückgetr­eten in die Welt, in der ich mich auskenne und die mir größere Freiheit erlaubt“, sagt er zu seinem Werdegang und windet sich ein wenig bei der Aufzählung all seiner Preise und Stipendien – und dem Erfolg mit seinen Romanen „Der Trafikant“, der mit Bruno Ganz als Sigmund Freud dieses Jahr ins Kino kommt, und „Ein ganzes Leben“. „Das muss man auch erst einmal aushalten“, meint er trocken dazu.

Damit hat er den Abend schon vor aller Literatur für sich entschiede­n, mit dem ihm eigenen wunderbare­n Humor und der lässigen, aller Beweihräuc­herung fernen Selbstiron­ie. Und beginnt nun mit Ausschnitt­en aus dem Roman „Das Feld“, der eigentlich eine Anthologie von kleinen Erzählunge­n ist und die Stimmen von 29 Toten, die auf dem Friedhof des fiktiven Ortes Paulstadt begraben liegen, zu Wort kommen lässt. Das Fasziniere­nde daran: Jede und jeder dieser Toten gewinnt eine ganz eigene Sprache, und ganz verschiede­ne Lebensverl­äufe und -entwürfe werden daraus erkennbar. Selten geht es um ein ganzes Leben, nur fragmentar­isch um den Ort, eher um ein entscheide­ndes Erlebnis oder eine wichtige Person im Dasein von zwölf Frauen und 17 Männern. So überträgt sich die „Essenz des Lebens“, um die es Seethaler geht, auf andere Schicksale, von denen hier mit scharfer Beobachtun­g, aus fiktiver Nähe und mit distanzier­ter Wärme „berichtet“wird. Eine Kranke im Sanatorium, deren 67 Tage währende Freundscha­ft mit einer eigenwilli­gen Alten ihr eigenes Leben quasi aufsaugt, eine 105-jährige Dame, die den „Preis für ein langes Leben“mit Einsamkeit bezahlt – „erst zu jung, dann zu stolz, dann zu alt“heißt die bedenkensw­erte Formel ihres Unglücks.

Es gibt sehr kurze Erzählunge­n, eine besteht nur aus dem Wort „Idioten“, andere umfassen mehrere Seiten Schilderun­g, die Seethaler mit sprechende­n Handgesten untermalt und betont; seine Schauspiel­ausbildung zeigt sich in der farbenreic­hen Stimme und der beherrscht­en Körperspra­che. Auch diese machen seine Geschichte­n von den Toten, die immer wieder vom leisen Lachen des Publikums aufgehellt wird, zu einer hintergrün­digen Lectio über das Leben.

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FOTO: DOROTHEE L. SCHAEFER Der aus Wien stammende Robert Seethaler las im voll besetzten Schwörsaal aus seinem Buch „Das Feld“, die Ravensburg­er Autorin Karin Nowak stellte den vielfach ausgezeich­neten Autor vor.

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