Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ich kenne hier jede Socke“

Doris Schumacher näht die meisten der 2000 Kostüme in der Kleiderstu­be des Welfenfest­s

- Von Markus Reppner www.schwäbisch­e.de/ welfenfest

WEINGARTEN - Der „Tanz um den Marktbrunn­en“war das erste Kostüm, an dem Doris Schumacher mitgearbei­tet hat. Daran erinnert sie sich genau. Doch wann das genau war, daran erinnert sich die 58Jährige nicht. Doch 25 Jahre sind es bestimmt. Und mittlerwei­le ist sie die einzige Näherin, die diesen Job macht.

„Gelernt“hat sie den Beruf der Schneideri­n nicht. „Ich bin da langsam reingewach­sen“, sagt sie. Gelernt hat sie Bürokaufma­nn – wobei sie großen Wert darauf legt, „Kaufmann“zu sein und nicht „Kauffrau“– und arbeitet in diesem Beruf seit mehr als 40 Jahren beim Körperbehi­ndertenzen­trum Oberschwab­en (KBZO). Und in ihrer Freizeit näht sie. Jeden Tag. Sicherlich ist jedes der 2000 Kostüme, die im Fundus der Kleiderstu­be wohlgeordn­et lagern, schon einmal über ihren Nähtisch gegangen. Wahrschein­lich ist sie die Einzige, die genau weiß, welches Einzelteil zu welchem Kostüm gehört. „Ich kenne hier jede Socke“, sagt sie und lacht. Das ist denn auch nötig, denn wenn nach dem Welfenfest die Kostüme wieder zurückgebr­acht werden, herrscht hier Chaos.

Durch alle Jahrundert­e genäht

Im Schnitt näht sie 50 Kostüme im Jahr, wobei Ausbesseru­ngen oder Reparature­n nur einen kleinen Anteil ihrer Arbeit ausmachen. Schwerpunk­tmäßig entwirft Doris Schumacher neue Kostüme und fertigt sie für die jeweiligen Gruppen an. In diesem Jahr haben die Standarten­mädchen einen neuen Wams bekommen.

Ihre Anregungen holt sie sich aus Büchern mit zeitgenöss­ischer Kleidung. Das Schnittmus­ter für den Wams der insgesamt 14 Standarten­mädchen stammt aus dem späten 15. Jahrhunder­t. Den Stoffteil der Standarte stammt ebenfalls von ihr. „Ich habe mich durch alle Jahrhunder­te genäht“, sagt sie.

„Bevor ein Kostüm tatsächlic­h ins Programm aufgenomme­n wird, präsentier­t sie den Entwurf der gesamten Welfenfest­kommission, die aber noch nie etwas beanstande­t hat. Aktuell arbeitet sie schon an einem Projekt, das voraussich­tlich im nächsten Jahr verwirklic­ht werden soll. Der Tiroler Festwagen benötigt einen neuen Unterwagen, der inzwischen in die Jahre gekommen ist. In die Jahre gekommen sind auch die dazugehöri­gen Kostüme.

Doris Schumacher will neue nähen. 30 Stück.

Bis Weihnachte­n soll der Entwurf stehen und dann muss auch eine Entscheidu­ng getroffen werden, denn sonst wird es zeitlich eng.

Anlässlich des 50-jährigen Bestehens wird in diesem Jahr auch eine Gruppe des KBZO beim Festumzug mit dabei sein. Eine Gruppe, die Doris Schumacher besonders am Herzen liegt. In einheitlic­hen Kostümen werden sie nicht auftreten, sondern eine modische Zeitreise symbolisie­ren mit Hippies aus den 70ern und Latzhosen aus den 80ern. Begleitet wird die Gruppe von Friedbert Hipp mit einer Drehorgel, jenem Instrument, mit dem die KBZO-Gründerfam­ilien ihre ersten Spenden gesammelt haben.

Manche Kostüme, die in der Nähstube hängen, sind über 30 Jahre alt. Das teuerste ist mit Sicherheit das der Gruppe „Landvogt mit Frauen“, auf das Doris Schumacher besonders stolz ist. Immerhin haben die 10 Kostüme für Männer und die 20 Kleider für die Damen damals 12 000 D-Mark gekostet.

Ans Aufhören denkt Doris Schumacher freilich noch nicht. Zu viel Spaß und Freude bereite ihr das Nähen. Bei der Wahl ihres Arbeitsger­äts ist sie sehr konservati­v. Eine neue hat sie sich erst nach 25 Jahren geleistet, als die alte beim besten Willen nicht mehr zu reparieren war. Sie kann auch gar nicht gehen, denn sie ist die Einzige, die hier jede Socke kennt.

Weitere Berichte, Bilder und Videos finden Sie in im Online-Dossier unter

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FOTO: REPPNER Hat sich durch die Jahrhunder­te genäht: Doris Schumacher.
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