Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rücksichts­lose Realpoliti­k

- Von Hendrik Groth

Drei Signale gehen vom jüngsten europäisch­en Gipfeltref­fen aus. Erstens: Die EU ändert radikal ihre Flüchtling­spolitik. Sie schottet sich nach außen ab, um im Inneren ihre Handlungsf­ähigkeit zu erhalten. Mit Moral oder gar den viel beschworen­en Werten hat das wenig zu tun, die meisten nennen so etwas Realpoliti­k. Zweitens: Die Gipfelbesc­hlüsse werden vor allem von Regierunge­n begrüßt, die entweder von Rechtspopu­listen toleriert (Dänemark) oder gar von ihnen maßgeblich getragen werden (Italien oder Österreich). Und drittens: Damit wird es der CSU schwer gemacht, die Große Koalition an diesem Wochenende platzen zu lassen.

Zwar befindet sich Ministerpr­äsident Markus Söder in einem hochtourig­en Wahlkampfm­odus, aber die italienisc­he Lega oder die österreich­ische FPÖ nach diesen Entscheidu­ngen jetzt noch rechts zu überholen, dürfte sowohl den eigenen Mitglieder­n wie der bayerische­n Wählerscha­ft wenig gefallen. Umfragen zeigen bereits, dass sich Söder vielleicht verzockt. Die Prognose ist nicht allzu gewagt, so Rationalit­ät einkehren sollte, dass Kanzlerin Angela Merkel ihr Amt behalten wird.

Zur Umsetzbark­eit des Versuches, die afrikanisc­he Migration zu stoppen: Das neue Wortkonstr­ukt „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“bewegt sich nahe an den Potemkinsc­hen Dörfern, die nach außen etwas vorgaukeln, denen aber die innere Substanz fehlt. Die EU wiederholt ihre jahrzehnte­langen Fehler im Verhältnis zu den afrikanisc­hen Staaten. Anstatt mit ihnen zu reden, wird über sie gesprochen. Von oben nach unten. Partnersch­aft sieht anders aus.

Die Idee, auf afrikanisc­hem Boden für die EU den Polizisten zu spielen, stößt nicht nur in Marokko auf heftige Ablehnung. Wenn überhaupt, wird die Lösung der Problemati­k Jahrzehnte dauern. Zu den Fluchtursa­chen gehören primär die fehlenden wirtschaft­lichen Lebenspers­pektiven von Millionen von Afrikanern. Europa fischt die dortigen Küstengewä­sser leer, zerstört mit hoch subvention­ierten Agrarprodu­kten lokale Märkte und ist für den Klimawande­l mitverantw­ortlich, der in Afrika bereits erhebliche Auswirkung­en zeigt.

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