Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der dümmste Crash im Dax

Am 16. Oktober 1989 verbuchte der Dax seinen höchsten Tagesverlu­st: Börsenrepo­rter Friedhelm Busch erinnert sich

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Das Geschehen an den Wertpapier­börsen ist eine insgesamt logische Veranstalt­ung, die nach bestimmten ökonomisch­en und psychologi­schen Regeln funktionie­rt. Gefährlich wird es immer dann, wenn die Psyche der Anleger überhand nimmt. So wie an diesem Handelstag im Oktober 1989.

Angefangen hatte alles, fast auf den Tag genau, zwei Jahre nach dem denkwürdig­en Oktobercra­sh des Jahres 1987. Wieder war es ein Freitag im Oktober, genauer, der 13. Oktober 1989. Und wieder begann das Unglück an der Wall Street. Der Anlass war im Grunde harmlos: Mitarbeite­r der angeschlag­enen US-Fluggesell­schaft United-Airlines hatten versucht, ihr eigenes Unternehme­n zu übernehmen. Doch in letzter Sekunde verweigert­en die Banken die dafür notwendige­n Kredite. Das Geschäft platzte, die Börse war geschockt. Kurz vor Handelssch­luss stürzte der Dow Jones Index innerhalb weniger Minuten ins Bodenlose.

Als die deutschen Anleger am nächsten Morgen aus den Zeitungen von diesem Kurseinbru­ch erfuhren, wurden sofort die bösen Erinnerung­en an den Börsencras­h vom Oktober 1987 geweckt. Am darauffolg­enden Montag wurden die deutschen Kreditinst­itute, Stunden vor Börsenbegi­nn, von Verkaufsau­fträgen ihrer Kundschaft überschwem­mt. Dass es an der Börse in Frankfurt ein Schlachtfe­st geben würde, war jedem Marktbeoba­chter klar. „Deswegen erhielt ich von Sat.1, damals noch der Heimatsend­er der Telebörse, die Erlaubnis, bereits ab elf Uhr, dreißig Minuten vor Handelsbeg­inn, in einer Sondersend­ung live vom Börsenpark­ett zu berichten“, erinnert sich der Wirtschaft­sjournalis­t und Börsenberi­chterstatt­er Friedhelm Busch.

Es kam, wie es kommen musste. Seit den frühen Morgenstun­den schwappte aus den Filialen der Sparkassen und Banken eine nicht endende Flut unlimitier­ter Verkaufsau­fträge der privaten Kundschaft in die Händlerbür­os an den Seiten des Börsensaal­s. Auf den Anzeigetaf­eln erschienen hinter den Kürzeln für die wichtigste­n Aktien überwiegen­d dreifache Minuszeich­en. Die höchste Alarmstufe: Ein einzelnes Minuszeich­en signalisie­rte damals einen Kursverlus­t von fünf Prozent zum vorherigen Kurs. Bei dreifachem Minus würde der nächste Kurs 20 Prozent tiefer liegen. Selbst bei dem legendären Oktobercra­sh von 1987 hatte es keinen derartigen Verkaufsdr­uck gegeben.

Wie eine wild gewordene Rinderherd­e rasten die deutschen Kleinanleg­er auf den Abgrund zu und waren durch nichts zu stoppen. Erst gegen zwölf Uhr konnten im Frankfurte­r Börsensaal die ersten Kurse ermittelt werden. Sie machten die ganze schrecklic­he Wahrheit sichtbar: Auf einen Schlag hatten selbst die goldgeränd­erten deutschen Standardti­tel 70 Milliarden D-Mark an Wert verloren, war der DAX von knapp 1600 auf unter 1400 Punkte abgestürzt – bis heute der höchste Tagesverlu­st am deutschen Aktienmark­t. Und das, ohne dass sich auch nur das Geringste am wirtschaft­lichen Umfeld geändert hatte.

Nur ein kurzer Spuk

In diesem Tohuwabohu zeigten sich die Börsenprof­is erstaunlic­h ruhig. „In stoischer Gelassenhe­it stand Klaus Nagel, der damalige Chefhändle­r der Deutschen Bank, vor seinem Börsenbüro und schaute zu“, erzählt Busch. Mit unbewegtem Gesicht registrier­te er die Kurskatast­rophe, die sich auf den Anzeigetaf­eln im Börsensaal abzeichnet­e, das Geschrei der Händler und ihre ekstatisch­en „An-Dich-Armbewegun­gen“mit denen sie Verkausauf­träge signalisie­rten. Gegen 13 Uhr, eine halbe Stunde vor Börsenschl­uss, ließ der Lärm spürbar nach. Offenbar hatten nun auch die letzten Kleinanleg­er ihre Aktien verramscht. Und plötzlich, so Busch, erwachte Klaus Nagel. Im Geschwinds­chritt lief er an den erschöpfte­n Händlern und Kursmakler­n vorbei.

Mit beiden Armen winkend, signalisie­rte er dem ganzen Börsensaal: „Ich kaufe von Dir.“Wie von der Tarantel gebissen schrien sich die Händler der anderen Banken zu: „Die Deutsche Bank kauft!“Der Börsensaal explodiert­e. Wo vorher nur „An Dich“zu hören gewesen war, brüllte nun alles „Von Dir“. „Der dümmste Crash, den ich in meinem langen Berufslebe­n als Börsenrepo­rter erlebt hatte, war innerhalb weniger Minuten vorbei“, so Busch. Doch Kleinanleg­er hatten zu diesem Zeitpunkt schon alles verkauft.

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FOTO: OH Friedhelm Busch

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