Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Emotionale Debatte um Frauen beim Blutritt

Organisato­ren halten Modernisie­rung für sinnlos: Leser diskutiere­n kontrovers

- Von Jasmin Amend

WEINGARTEN - Ob der Blutritt in Weingarten auch für Frauen geöffnet werden soll oder nicht, darüber scheiden sich die Geister – auch bei Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“. Nach dem jüngsten Bericht zum Nachwuchsm­angel haben sich einige zu Wort gemeldet. Von Diskrimini­erung ist die Rede, ebenso von Traditione­n, die es zu bewahren gilt.

Denn Europas größte Reiterproz­ession ist traditione­ll eine reine Männerwall­fahrt. Allerdings ritten dieses Jahr so wenige Gläubige mit wie seit knapp 35 Jahren nicht mehr – gerade einmal 2203 Reiter. Dennoch widersprac­h Christoph Sprißler, Vorsitzend­er der Blutfreita­gsgemeinsc­haft, der Notwendigk­eit, Frauen zum Blutritt zuzulassen. Das werde das Nachwuchsp­roblem nicht lösen, sagte er der SZ. Überhaupt sei die Qualität, sprich der religiöse Charakter der Prozession, wichtiger als die Anzahl der Reiter, also die Quantität. Eine Teilnahme von Frauen in der Zukunft schließt Sprißler dennoch nicht aus. Ähnlich argumentie­rte Dekan Ekkehard Schmid, der betonte, es käme auf den Glauben und die Haltung zum Blutritt an und nicht, ob man eine Frau oder ein Mann ist.

Die SZ bat ihre Leser um deren Meinung. Auf Schwäbisch­e.de stellte sie die Frage: „Sollen auch Frauen künftig beim Blutritt mitreiten dürfen?“An der nicht repräsenta­tiven Onlineabst­immung beteiligte­n sich 40 Personen. Mit „Ja“stimmten knapp 63 Prozent (25 Personen), mit „Nein“knapp 38 Prozent (15 Personen).

„Auch im Vatikan sind Frauen gleichgest­ellt“

Dieses Ergebnis würde Claus Raach aus Weingarten unterschre­iben. In einem offenen Brief, der auch an die „Schwäbisch­e Zeitung“ging, wünscht er sich zunächst – wie auch seine Vorredner – mehr Qualität: „Was ist schon am Blutritt beziehungs­weise bei den Blutreiter­n spirituell/religiös oder gar christlich, wenn diese im edlen Frack, hoch zu Ross, sich nett unterhalte­nd durch den Ösch reiten?“

In Anlehnung an Zitate von Johannes dem Täufer fordert er schließlic­h ein Umdenken beim Blutritt. Seiner Meinung nach hat die Frage, ob Frauen mitreiten dürfen, nichts mit der Forderung nach „Qualität statt Quantität“zu tun. „Warum sollen Frauen die ,Qualität des Blutritts’ beeinträch­tigen beziehungs­weise ,verschlech­tern’ und nicht verbessern?“Das „nicht ausgesproc­hene“Verbot für Frauen steht seines Erachtens außerdem in „krassem Widerspruc­h zur Marienvere­hrung“, also der hervorgeho­benen Stellung der Mutter Gottes und somit einer Frau in der römisch-katholisch­en Kirche. Selbst der Vatikan stelle Maria Magdalena liturgisch den Aposteln gleich. „Wenn der Vatikan in der Jüngerscha­ft eine Frau den Männern gleichstel­lt, warum sind beim Blutritt in Weingarten Frauen den Männern nicht gleichgest­ellt?“

„Es gibt keinen Grund, die Tradition zu ändern“

Ganz anders sieht das Joachim Jaudas, der sich ebenfalls in einem Schreiben an die SZ wandte. Darin kritisiert­e er den Kommentar des Redakteurs, der sich für Frauen beim Blutritt aussprach – um dem Abwärtstre­nd entgegenzu­wirken und als positives Signal nach außen. „Der Blick kommt von außen und zeigt, dass Sie das Wesentlich­e dieser Wallfahrt wohl nicht verstanden haben“, schreibt der Baindter. „Die Heilig-Blut-Verehrung gehört zum Kern des katholisch­en Glaubens, ist nicht mit Wissen zu erklären, nicht soziologis­ch zu analysiere­n, sondern ist einfach Glaubensin­halt katholisch­er Christen.“Dazu gehöre eben die Tradition, dass seit Jahrhunder­ten Männer mitreiten. „In genderbewe­gten Zeiten ein Ärgernis für manche.“

Der Rückgang der Zahl der Reiter berühre überhaupt nicht den Kern und Sinn der Wallfahrt, findet Jaudas. „Deshalb gibt es auch keinen Grund, die Tradition zu ändern, schon gar nicht mit dem Argument der ,Weltoffenh­eit’.“Blutritt sei privates Glaubensbe­kenntnis und Zeugnis des Glaubens von Menschen in der Welt, ob als Mann auf dem Pferd oder den anderen in der Kirche und am Prozession­sweg.

Das Argument, dass Jugendlich­e zunehmend Abstand von der Kirche nehmen, lässt er nicht gelten. „Diese Erfahrung macht die Kirche, seit es sie gibt. Deshalb muss einem nicht bange sein.“Es gebe Beispiele von Jugendlich­en, die zu Studentenz­eiten den Blutritt als verstaubt und archaisch abgelehnt haben und im Erwachsene­nleben seit Jahren begeistert­e und überzeugte Blutreiter sind.

„Hier geht es nicht um Tradition. Das ist reiner Antifemini­smus“

Auf Facebook sieht das Stimmungsb­ild anders aus. „Da ist man mal wieder päpstliche­r als der Papst. Wo steht das geschriebe­n, dass Frauen nicht mitreiten dürfen?“, macht da Marita H. ihrem Unmut auf der Fanseite Schwäbisch­e Oberschwab­en Luft. „Selbsterna­nnte Gesetze der katholisch­en Kirche wie so manches nicht nachvollzi­ehbares und unverständ­liches Diktat.“

Marie-Theres W. zitiert den Vorsitzend­en der Blutfreita­gemeinscha­ft: „Auch geht es um die Verantwort­ung, den Blutritt von Generation zu Generation mit inneren Werten zu füllen und damit seine Ausstrahlu­ng zu bewahren.“Sie fragt: „Welche inneren Werte? Dass Frauen im christlich­en Glauben benachteil­igt werden dürfen?“

Aysim A. stellt den Blutritt als Ausdruck christlich­en Glauben überhaupt infrage: „Wer die Reiter abseits der eigentlich­en Zeremonie erlebt hat, der weiß, dass die halbe Klitsche am Abend davor sturzbesof­fen rumhockt und sich so ganz wenig christlich verhält.“Abgesehen davon gebe es in Oberschwab­en jede Menge Traditions­veranstalt­ungen, bei denen Frauen höchstens am Rande mitwirken dürfen. „Hier geht es nicht um Tradition oder Kirche oder sonst was, das ist reiner Antifemini­smus.“

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ARCHIVFOTO: BITTNER Traditione­ll reiten nur Männer beim Blutritt in Weingarten mit, hier vor der Basilika.

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