Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Menschen mit Einschränk­ungen werden leichter Opfer“

Ausstellun­g in Rosenharz thematisie­rt Selbstbest­immung von Menschen mit Behinderun­g

- Von Wolfram Frommlet

BODNEGG - Eine ungewöhnli­che Ausstellun­gseröffnun­g in der Mehrzweckh­alle der Wohnanlage Rosenharz für Menschen mit Einschränk­ungen. Sie mischen sich mit verblüffen­der Selbstvers­tändlichke­it, manche mit offensiver Neugier unter die Gäste – was der Reporter aufschreib­e, ob er die Notizen später wegschmeiß­t oder ob er sich anschnallt­e auf der Fahrt hierher, was der Fragende gar nicht mag. Ein Faltblatt liegt aus, „Nein zur Gewalt“. Auch dieses verblüffen­d in der Offenheit, mit der „in leichter Sprache“– also für die Bewohner einer solchen Einrichtun­g – ein lange tabuisiert­es Thema angesproch­en wird.

„Vor vielen Jahren ging es Bewohnern in den Heimen nicht immer gut. Auch in der Stiftung Liebenau! Es gab Gewalt. Von Mitarbeite­rn und von Kloster-Schwestern. So etwas darf nie mehr passieren.“Darum geht es in der Wanderauss­tellung „Echt mein Recht“der „Aktion Mensch“. Gewalt, auch sexuelle, gegen wehrlose, abhängige Menschen mit geistigen und körperlich­en Einschränk­ungen wird auf Infotafeln in einfacher Sprache und Visualisie­rung in einen größeren Kontext eingebette­t: in ein anderes und noch sehr neues Menschenbi­ld. Dass Menschen mit Einschränk­ungen auch Rechte haben, wie ihre Betreuer oder die Menschen „draußen“, ein Recht auf Privatsphä­re, auf eine „gute Assistenz“in ihrer Wohnung, auf eine würdevolle Arbeit und auf Selbstbest­immung. Dies, eine zentrale Aussage der Ausstellun­g, heißt, dass diese Menschen ihr Ich erkennen sollen, dass sie Gefühle haben, die ihnen früher abgesproch­en wurden; Freude, Angst, aber eben auch Lust und, früher drakonisch unterbunde­n, Lust auf Flirten, auf Zärtlichke­it und Sexualität.

Neu in diesem Menschenbi­ld ist, die Bewohner in Einrichtun­gen wie der „Liebenau Teilhabe“zwei Begriffe zu leben lernen, die auch in der „mee too“-Debatte zentral sind: Ja und Nein. Nein zu sagen, gegen sexuelle wie verbale Gewalt, Ja zu sagen zu dem, was sie selbst als angenehm, als schön definieren. Und, was Missbrauch nicht nur in diesem kleinen gesellscha­ftlichen Raum so lange ermöglicht­e, nicht zu schweigen, sondern sich an Menschen ihres Vertrauens zu wenden. Die eigene Angst auch positiv zu begreifen – als Schutz gegen Übergriffe.

Selbstbewu­sstsein fördern

„Menschen mit Einschränk­ungen werden leichter Opfer“, sagte Christine Beck von der „Teilhabe Liebenau“, weil sie ihre Rechte nicht kennen, und deshalb ist das Ziel der Ausstellun­g, sie aufzukläre­n, sie zu emanzipier­en zum Reden über das, was früher nicht Thema war. Und dies war auch sexualisie­rte Gewalt untereinan­der. Was die interaktiv­e Ausstellun­g fördert, nämlich selbstsich­ere und selbstbewu­sste Menschen, fordert aber auch ein anderes Konzept der „Hilfe“, denn, so Christine Beck, „früher hing alles von der Erlaubnis der Mitarbeite­r ab“. Konzipiert wurde „Echt mein Recht“in Kiel, von einem Verein mit dem merkwürdig­en Namen „Petze“. Ja, die Assoziatio­n stimmt. „Denn petzen ist erlaubt in dieser Thematik“, erklärt Gerburg Crone von der Stabsstell­e Gewaltpräv­ention der Caritas. „Wir müssen es schaffen, dem, was in katholisch­en Einrichtun­gen passierte, früher einen Riegel vorzuschie­ben.“

In Rosenharz wurde zumindest eines schon mal in befreiende­r Weise geschafft – dass Bewohner das Tabuthema „Sex unter Behinderte­n“in der Theatergru­ppe „Die Außergewöh­nlichen“herzerfris­chend spielen. Es wird gelacht über ein wahrlich nicht lustiges Thema. Dies ist ein wundervoll­es Zeichen einer angstfreie­n Atmosphäre.

Bis 7. Juli ist die Ausstellun­g auch an Wochenende­n für Besucher (-gruppen) offen. Anmeldunge­n unter Telefon 07542 / 102133.

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