Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Menschen mit Einschränkungen werden leichter Opfer“
Ausstellung in Rosenharz thematisiert Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung
BODNEGG - Eine ungewöhnliche Ausstellungseröffnung in der Mehrzweckhalle der Wohnanlage Rosenharz für Menschen mit Einschränkungen. Sie mischen sich mit verblüffender Selbstverständlichkeit, manche mit offensiver Neugier unter die Gäste – was der Reporter aufschreibe, ob er die Notizen später wegschmeißt oder ob er sich anschnallte auf der Fahrt hierher, was der Fragende gar nicht mag. Ein Faltblatt liegt aus, „Nein zur Gewalt“. Auch dieses verblüffend in der Offenheit, mit der „in leichter Sprache“– also für die Bewohner einer solchen Einrichtung – ein lange tabuisiertes Thema angesprochen wird.
„Vor vielen Jahren ging es Bewohnern in den Heimen nicht immer gut. Auch in der Stiftung Liebenau! Es gab Gewalt. Von Mitarbeitern und von Kloster-Schwestern. So etwas darf nie mehr passieren.“Darum geht es in der Wanderausstellung „Echt mein Recht“der „Aktion Mensch“. Gewalt, auch sexuelle, gegen wehrlose, abhängige Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen wird auf Infotafeln in einfacher Sprache und Visualisierung in einen größeren Kontext eingebettet: in ein anderes und noch sehr neues Menschenbild. Dass Menschen mit Einschränkungen auch Rechte haben, wie ihre Betreuer oder die Menschen „draußen“, ein Recht auf Privatsphäre, auf eine „gute Assistenz“in ihrer Wohnung, auf eine würdevolle Arbeit und auf Selbstbestimmung. Dies, eine zentrale Aussage der Ausstellung, heißt, dass diese Menschen ihr Ich erkennen sollen, dass sie Gefühle haben, die ihnen früher abgesprochen wurden; Freude, Angst, aber eben auch Lust und, früher drakonisch unterbunden, Lust auf Flirten, auf Zärtlichkeit und Sexualität.
Neu in diesem Menschenbild ist, die Bewohner in Einrichtungen wie der „Liebenau Teilhabe“zwei Begriffe zu leben lernen, die auch in der „mee too“-Debatte zentral sind: Ja und Nein. Nein zu sagen, gegen sexuelle wie verbale Gewalt, Ja zu sagen zu dem, was sie selbst als angenehm, als schön definieren. Und, was Missbrauch nicht nur in diesem kleinen gesellschaftlichen Raum so lange ermöglichte, nicht zu schweigen, sondern sich an Menschen ihres Vertrauens zu wenden. Die eigene Angst auch positiv zu begreifen – als Schutz gegen Übergriffe.
Selbstbewusstsein fördern
„Menschen mit Einschränkungen werden leichter Opfer“, sagte Christine Beck von der „Teilhabe Liebenau“, weil sie ihre Rechte nicht kennen, und deshalb ist das Ziel der Ausstellung, sie aufzuklären, sie zu emanzipieren zum Reden über das, was früher nicht Thema war. Und dies war auch sexualisierte Gewalt untereinander. Was die interaktive Ausstellung fördert, nämlich selbstsichere und selbstbewusste Menschen, fordert aber auch ein anderes Konzept der „Hilfe“, denn, so Christine Beck, „früher hing alles von der Erlaubnis der Mitarbeiter ab“. Konzipiert wurde „Echt mein Recht“in Kiel, von einem Verein mit dem merkwürdigen Namen „Petze“. Ja, die Assoziation stimmt. „Denn petzen ist erlaubt in dieser Thematik“, erklärt Gerburg Crone von der Stabsstelle Gewaltprävention der Caritas. „Wir müssen es schaffen, dem, was in katholischen Einrichtungen passierte, früher einen Riegel vorzuschieben.“
In Rosenharz wurde zumindest eines schon mal in befreiender Weise geschafft – dass Bewohner das Tabuthema „Sex unter Behinderten“in der Theatergruppe „Die Außergewöhnlichen“herzerfrischend spielen. Es wird gelacht über ein wahrlich nicht lustiges Thema. Dies ist ein wundervolles Zeichen einer angstfreien Atmosphäre.
Bis 7. Juli ist die Ausstellung auch an Wochenenden für Besucher (-gruppen) offen. Anmeldungen unter Telefon 07542 / 102133.