Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Autokrat
Nicht mal der eigene Bruder kann Daniel Ortega umstimmen: Vor einigen Tagen hat Humberto Ortega den Staatspräsidenten Nicaraguas aufgerufen, Neuwahlen zuzustimmen. Doch der lehnt ab – obwohl auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, die katholische Kirche, Vertreter von Zivilgesellschaft und Wirtschaft dies als Ausweg aus der schweren innenpolitischen Krise vorschlagen.
„Alles habe seine Zeit“, sagte Ortega dazu nur. Es habe gesetzmäßige Wahlen in Nicaragua gegeben. Den Regierungsgegnern wirft der Präsident vor, einen Putsch vorzubereiten.
Seit Mitte April wird das mittelamerikanische Land von heftigen Protesten gegen die Regierung erschüttert. Dabei wurden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits mehr als 300 Menschen getötet. Die Proteste entzündeten sich an einer inzwischen zurückgenommenen Rentenreform. Anschließend weiteten sich die Demonstrationen auch gegen die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie staatlich ausgeübte Gewalt aus. Inzwischen fordern die Vertreter der Zivilgesellschaft Ortegas Rücktritt. Am Wochenende setzten sich die Proteste in vielen Städten fort.
Seit fast vier Jahrzehnten mischt Ortega in der Politik Nicaraguas mit. Nach dem Sieg seiner Sandinisten gegen die Somoza-Diktatur 1979 war Nicaragua Sinnbild der internationalen Linken für Frieden und Freiheit. Später entwickelte er sich aber zum autoritären Alleinherrscher. Viel Geld soll über dunkle Kanäle in die Taschen seiner Familie geflossen sein. Deswegen wandten sich viele Weggefährten von Ortega ab.
Im benachbarten Costa Rica verzeichneten die Behörden zuletzt eine wachsende Zahl von Flüchtlingen aus Nicaragua. Sie versuchen, der Gewalt in ihrer Heimat zu entkommen. (KNA/dpa)