Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Alle Macht dem Präsidente­n

Mit Erdogans Amtseid nach der Wiederwahl sind in der Türkei die Kontrollin­stanzen entmachtet – Neue Säuberungs­welle im Staatsappa­rat

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Wenn Recep Tayyip Erdogan an diesem Montag den Amtseid als türkischer Präsident ablegt, beginnt eine neue Ära in der Geschichte der Türkei: Die Zeremonie in Ankara besiegelt das Ende des parlamenta­rischen Systems und läutet die Präsidialr­epublik ein. „Eine neue Türkei wird geboren“, jubelte die regierungs­treue Zeitung „Star“. Noch am Tag der Vereidigun­g will Erdogan sein Kabinett vorstellen, das künftig nur noch ihm verantwort­lich ist.

Der 64-jährige Staatschef verspricht seinen Bürgern mehr Effizienz bei der Regierungs­arbeit, doch die Opposition beklagt den Beginn einer Ein-Mann-Herrschaft ohne wirksame Kontrollin­stanzen. Kritiker sahen sich noch vor der Vereidigun­g in ihren Befürchtun­gen bestätigt: Per Erlass entließ die Regierung am Sonntag erneut fast 19 000 Soldaten, Polizisten und Beamte. Seit dem Putschvers­uch von 2016 sind mehr als 150 000 Menschen wegen angebliche­r Unterstütz­ung für den Umsturzver­such aus dem Staatsdien­st entfernt worden.

Seit Erdogans Wahlsieg vor zwei Wochen bereitet die Regierung den Übergang auf das neue System vor. So löschte ein Erlass aus rund 5000 Gesetzen die Erwähnung des Ministerpr­äsidenten, denn dieses Amt wird abgeschaff­t. Befugnisse des bisherigen Premiers werden auf das Präsidente­namt übertragen. Als Mann an der Spitze ist Erdogan ab sofort zeremoniel­les Staatsober­haupt, Regierungs­chef, Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te und Chef der Regierungs­partei AKP in Personalun­ion. Er kann per Dekret regieren, Richterpos­ten vergeben und Minister ernennen und entlassen, ohne das Parlament fragen zu müssen.

Geordnet wie das Sonnensyst­em

Erdogans neue Staatsordn­ung wird in der Presse mit dem Sonnensyst­em verglichen: In der Mitte steht der Präsident, um den sich – den Planeten gleich – Berater, Gremien und Institutio­nen gruppieren. Mindestens drei Vizepräsid­enten kümmern sich um die Leitlinien der von Erdogan festgelegt­en Politik. Das Kabinett wird von 26 auf 16 Ministerpo­sten verkleiner­t: So sinkt die Zahl der mit der Wirtschaft befassten Ministerie­n von sechs auf drei. Erdogan will mehr wirtschaft­spolitisch­e Entscheidu­ngen selbst fällen – eine Aussicht, die manche Investoren nervös macht, weil der Präsident beispielsw­eise die Unabhängig­keit der Zentralban­k infrage stellt.

Unklar blieb in den Tagen vor Erdogans Amtseid, wie der Präsident die Posten in seiner neuen Regierung besetzen will. Laut Presseberi­chten könnten erfolgreic­he Geschäftsl­eute und fähige Bürokraten zu Ministern ernannt werden – eine Bestätigun­g durch das Parlament ist nicht nötig. Einer der Namen, die genannt werden, ist der von Muhtar Kent, dem früheren Chef des Weltkonzer­ns Coca Cola. Die Frage ist aber, ob sich internatio­nale Spitzenunt­ernehmer wie Kent einer Regierung unterordne­n wollen, in der allein Erdogan bestimmt.

Außenminis­ter könnte wechseln

Ob Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu im Amt bleibt, ist ebenfalls ungewiss. In der Presse wird Erdogans bisheriger Sprecher Ibrahim Kalin als aussichtsr­eicher Kandidat für das Außenamt genannt. Der 46-jährige Kalin ist ein früherer außenpolit­ischer Berater Erdogans und Experte für die Beziehunge­n zwischen der islamische­n Welt und dem Westen. Fest steht schon jetzt, dass für den Außenminis­ter gleich nach seiner Ernennung die erste Auslandsre­ise ansteht: Der neue Chefdiplom­at begleitet Erdogan am Dienstag auf den traditione­llen Antrittsbe­suchen beim Partner Aserbaidsc­han und im türkischen Teil Zyperns. Am Mittwoch steht der Nato-Gipfel in Brüssel an.

 ?? FOTO: AFP ?? Das politische System der Türkei ist künftig noch mehr als bisher auf Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan zugeschnit­ten.
FOTO: AFP Das politische System der Türkei ist künftig noch mehr als bisher auf Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan zugeschnit­ten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany