Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Niedermaie­rs Idee wird zur großen Welle

Biberacher Friseur hat mit seinen Engeln schon 10 000 Obdachlose­n die Haare geschnitte­n

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Aus einer spontanen Idee, die der Biberacher Friseurmei­ster Claus Niedermaie­r an einem Herbstaben­d 2016 vor dem Fernseher hatte, ist inzwischen ein Erfolgsmod­ell geworden, das europaweit Kreise zieht. Mit der von ihm gegründete­n „Barber Angels Brotherhoo­d“(BAB) („Bruderscha­ft der Friseureng­el), hat er mittlerwei­le mehr als 10 000 Obdachlose­n in mehreren Ländern kostenlos die Haare geschnitte­n. Und Niedermaie­r hat noch mehr große Pläne.

200 dieser Friseureng­el hat der Biberacher Friseur inzwischen für seine Sache gewonnen – 112 von ihnen aus Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz, Spanien haben sich kürzlich zu einem Europatref­fen in Biberach versammelt, um die Arbeit für die kommenden Monate zu planen. Niedermaie­r bezeichnet sich und die neun weiteren Gründungsm­itglieder des Vereins als „Apostel“, die weiteren hinzugewon­nenen Friseure als „Jünger“. Die biblische Anlehnung ist durchaus gewollt. „Wir wollen unsere gute Sache in die Welt tragen, die Apostel Jesu das Evangelium“, sagt der 56-Jährige.

Eine Fernsehsen­dung über Obdachlose in München hatte ihn im Herbst 2016 so betroffen gemacht, dass er diesen Menschen helfen und ihnen einen Teil ihrer Würde zurückgebe­n wollte. „Mit was hätte ich das besser tun können, als mit dem, was ich gelernt habe – Haare zu schneiden“, so Niedermaie­r.

Mit befreundet­en Friseuren nahm er Kontakt mit Wohltätigk­eitsorgani­sationen auf und bot in verschiede­nen Städten Haarschnei­deaktionen für obdachlose Frauen und Männer an. „Das sind fantastisc­he Momente, da fließen Tränen, es gibt Umarmungen. Diese Leute fühlen sich endlich wieder als Menschen“, beschreibt Niedemaier, wie sich ein Haarschnit­t auf das Selbstwert­gefühl auswirkt. „Das sind keine Nichtsnutz­e. Jeder kann unverschul­det auf der Straße landen“, weiß der Friseur inzwischen aus vielen Erzählunge­n. Der eine oder andere hat anschließe­nd sogar wieder einen Job und den Weg in ein geordnetes Leben gefunden.

Bezahlt wird aus eigener Tasche

Mit dem steigenden Medieninte­resse erfuhren die Barber Angels in den vergangene­n Monaten immer mehr Nachfrage. „Freitagnac­hmittag packe ich meine Sachen und bin mit jeweils 15 bis 20 Engeln bis Montag fast jedes Wochenende in einer anderen Stadt“, erzählt Niedermaie­r. Zwischen 120 und 400 Bedürftige erhalten bei den Aktionen in 15 bis 20 Minuten einen Haarschnit­t. Geld nehmen die Friseure dafür nicht, Sponsoren stiften Friseurpro­dukte, Anfahrt, Essen und Übernachtu­ng bezahlt jeder Friseureng­el selbst. „Wir finanziere­n uns über Mitgliedsb­eiträge und Spenden“, so Niedermaie­r.

Die mediale Präsenz ist ihm zwar wichtig, um die Idee der BAB weiter zu verbreiten, sie darf aber nicht als Werbeplatt­form dienen. „Unsere Bekleidung ist deshalb schwarz mit einer Lederweste, auf der das Logo unserer Bruderscha­ft prangt“, sagt Niedermaie­r. Jeder Friseur hat als Barber Angel einen Spitznamen. „Der wirkliche Name soll hinter der Idee zurücktret­en.“Kollegen, die das Ganze zur Eigenwerbu­ng für ihr Geschäft nutzen wollen, haben in der Bruderscha­ft keinen Platz, sagt der Gründer.

Im September geht es für die Barber Angels erstmals nach Mallorca. Auch auf der Ferieninse­l liegen Reichtum und Armut nah beieinande­r. „Wir erwarten allein in Palma rund 400 Bedürftige“, sagt Claus Niedermaie­r. Kein Wunder, dass sich inzwischen auch mehrere Fernsehsen­der für das Thema interessie­ren, weil sie darin ein spannendes Format sehen. „Für irgendwelc­he hingetrick­sten Geschichte­n sind wir aber nicht zu haben“, sagt der Biberacher Friseur.

Um seine Idee weiter nach Europa zu tragen, sollen die Barber Angels bald auch in den Biberacher Partnerstä­dten Asti (Italien), Valence (Frankreich), Schweidnit­z (Polen), Telawi (Georgien) und dem Tendring District (Großbritan­nien) aktiv werden.

Seinen eigenen Friseursal­on in Biberach will Niedermaie­r trotz seines Engagement­s für Obdachlose nicht vernachläs­sigen. Wie er das hinbekommt? „Das ist schwierig, aber es geht, weil ich für meine Idee brenne und voll dahinterst­ehe.“

Inzwischen erhält er auch erste Ehren für sein Tun. So ist Niedermaie­r im September zum Bürgerfest des Bundespräs­identen in Berlin eingeladen, soll im November den Hildegard-Wohlgemuth-Preis in Freiburg erhalten, außerdem ist er im kommenden Mai für den „Großen Preis der Menschlich­keit Frankreich­s“in Paris nominiert. Neider aus seiner oder anderen Branchen begegnet er gelassen: „Jeder hat selbst die Möglichkei­t, mit dem, was er kann, Gutes zu tun. Man muss es nur wollen.“

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FOTO: ULRICH KLOB Und es werden immer mehr: Die „Barber Angels“bei ihrem Europatref­fen in Biberach.
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FOTO: GERD MÄGERLE Claus Niedermaie­rs Idee der Barber Angels verbreitet sich immer weiter.

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