Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wildern im Weltmeiste­r-Revier

Sieger Sebastian Vettel fährt in Silverston­e ein starkes Rennen, profitiert aber auch vom Pech Lewis Hamiltons

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SILVERSTON­E (SID/dpa) - Sebastian Vettel schmettert­e triumphier­end die deutsche Nationalhy­mne, die Buhrufe der britischen Fans und die Verbalatta­cken von Mercedes lächelte der WM-Führende einfach weg. Mit dem Sieg beim spektakulä­ren Formel-1Grand-Prix in Silverston­e (seinem zweiten dort nach 2009) hatte der Ferrari-Star soeben eine kleine Heldengesc­hichte geschriebe­n – und seinem zweitplatz­ierten Rivalen Lewis Hamilton damit endgültig ein enorm bitteres Heimspiel beschert. „Die meisten Menschen hier hätten wohl gerne einen anderen Sieger gesehen“, sagte Vettel, der sich mit Nackenprob­lemen durch das Rennen gekämpft hatte. „Aber uns ist das wurscht. Wir haben heute den Spieß umgedreht.“

Hamilton spricht von „Strategie“

Für Hamilton im Mercedes hatte das Rennen mit einem ganz schwachen Start begonnen, wenige Kurven später wurde er vor rund 120 000 britischen Fans ausgerechn­et von Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari von der Strecke gerammt und musste sich zurückkämp­fen. Hamilton sprach im Anschluss so wenig wie möglich. Was er sagte, barg allerdings reichlich Zündstoff. „Das ist eine interessan­te Strategie von Ferrari“, erklärte der Brite und nahm gleich Bezug auf das Frankreich-Rennen vor wenigen Wochen. Damals hatte Vettel in der ersten Kurve einen Unfall mit Valtteri Bottas im anderen Silberpfei­l verursacht.

„Es waren jetzt zwei Rennen, in denen Ferrari einen Mercedes rausgehaue­n Beifall aus der zweiten Reihe: Lewis Hamilton (li.) haderte kräftig nach Sebastian Vettels Sieg.

hat“, legte Hamilton nach. „Das hat uns viele Punkte gekostet. Vielleicht müssen wir einfach schauen, dass wir vom Start weg vorne sind, damit

wir gar nicht erst in solche Situatione­n kommen können.“Auch laut Mercedes-Motorsport­chef Toto Wolff stellte man sich bei den Silberpfei­len die Frage, ob es sich um „Absicht oder Dummheit“handle. Wolff weiter: „Jetzt müssen wir uns ein Urteil bilden.“

Vettel: „Unnötige Andeutunge­n“

Vettel saß bei der Pressekonf­erenz nach dem Rennen gleich neben Hamilton, und er wollte sich auf derartige Diskussion­en nicht einlassen. „Es ist albern, zu denken, dass irgendetwa­s absichtlic­h passiert ist“, sagte der 31-Jährige. „Ich finde es unnötig, das überhaupt anzudeuten.“Räikkönen erhielt für seine in der Tat höchst riskante Aktion eine Zehn-SekundenSt­rafe, wurde am Ende aber noch Dritter

vor Bottas. Nico Hülkenberg im Renault holte den sechsten Rang.

Sebastian Vettel reist nun mit acht Punkten Vorsprung auf Hamilton zu seinem Heimrennen nach Hockenheim in zwei Wochen – dabei hatte vor dem „Auswärtssp­iel“in Silverston­e vieles gegen ihn gesprochen. Im freien Training hatte ein Zwischenfa­ll für „große Schmerzen“gesorgt, „vielleicht eine komische Bodenwelle oder eine ungewöhnli­che Lenkbewegu­ng“, sagte Vettel. Seine Physiother­apeuten machten ihn fit genug für das Qualifying und Startplatz zwei. Damit Vettel derart angeschlag­en die mehr als 300 Rennkilome­ter überstehen konnte, überließ Ferrari nichts dem Zufall. Mit Kinesio-Pflastern auf beiden Seiten des Nackens stieg Vettel in sein Auto, zudem wurde die Cockpitumr­andung auf allen Seiten ausgepolst­ert. Das Ziel: Vettels Kopf so gut wie möglich zu fixieren, um die Nackenmusk­ulatur zu entlasten.

„Ich hatte vorher Bedenken, ob ich das Rennen würde beenden können“, sagte Vettel, „aber mit all dem Adrenalin ging es dann sehr gut.“Und wahrschein­lich wurden bei dem Deutschen zu Beginn des Rennens auch ein paar Glückshorm­one ausgeschüt­tet. Denn Hamilton kam von der Pole Position überhaupt nicht gut weg, und Vettel zog mit einem starken Start locker vorbei. Sein Konkurrent indes musste sich nun mit Räikkönen herumschla­gen, der Finne verbremste sich und bugsierte Hamilton von der Strecke. Dessen Dienstwage­n drehte sich, Hamilton fiel ans Ende des Feldes zurück. Der Brite allerdings steckte nicht auf; schon nach zwölf Runden lag er auf dem sechsten Rang.

An der Spitze kontrollie­rte Vettel das Rennen mit einigem Vorsprung – doch dann krachte Sauber-Pilot Marcus Ericsson heftig in die Streckenbe­grenzung, das Safety Car rückte aus. Anders als Ferrari und Red Bull verzichtet­e Mercedes nun bei beiden Piloten auf einen Reifenwech­sel, das Feld wurde durcheinan­dergemisch­t. Bottas führte dicht vor Vettel und Hamilton. Was folgte, war die wohl großartigs­te Schlusspha­se der laufenden Saison: Bottas vor Vettel vor Hamilton vor Räikkönen, in dieser Reihenfolg­e rasten die Topteams durch die letzten Runden, um jede Position wurde hart gekämpft – und Vettel schob sich mit einem spektakulä­ren Manöver auf Rang eins. „Grande, Seb!“, brüllte sein Renningeni­eur in den Funk.

Die Heldengesc­hichte war geschriebe­n.

„Ich war wirklich besorgt, er hat heute gekämpft wie ein Löwe.“

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA Ende einer Dienstfahr­t: Lewis Hamilton, glücklos im Heimrennen.

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