Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kein Unterricht im Auftrag von Erdogan

SPD fordert vom Land, mutterspra­chliche Kurse in Eigenregie anzubieten

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Zigtausend­e Schüler nehmen in Baden-Württember­g an Unterricht teil, der in der Türkei, in Italien oder auch in Ungarn geplant wird. Damit soll nach dem Willen der Landtags-SPD bald Schluss sein. Sie fordert vom Kultusmini­sterium, den mutterspra­chlichen Unterricht in die eigenen Hände zu nehmen. Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick:

Wie läuft der mutterspra­chliche Unterricht?

Im Südwesten gibt es den Konsulatsu­nterricht. Der heißt so, weil die Konsulate des jeweiligen Landes die Kurse anbieten, Lehrer bezahlen und über die Lerninhalt­e entscheide­n. Wenn die Kurse mindestens zwölf Schüler umfassen, gibt es einen Zuschuss vom Land. Im aktuellen Schuljahr sind es 1,16 Millionen Euro. Das Geld reicht nur, um gut ein Drittel der Kurse mit Anspruch auf Landesgeld zu fördern, erklärt eine Sprecherin des Kultusmini­steriums.

Wie kam das zustande?

Ursprung ist eine EU-Richtlinie von 1977. Damals hatte man die Kinder von Gastarbeit­ern im Blick, die auf eine Rückkehr ins Herkunftsl­and vorbereite­t werden sollten.

Welche Kritik gibt es am Konsulatsu­nterricht?

Schüler türkischer Herkunft bilden die größte Gruppe, die an mutterspra­chlichem Unterricht teilnehmen. Dass die Inhalte von Ankara gesteuert werden, entfachte im vergangene­n Jahr eine Debatte – zu dem Zeitpunkt, als das Referendum in der Türkei aus der parlamenta­rischen Staatsform ein auf Recep Tayyip Erhand dogan zugeschnit­tenes Präsidials­ystem absegnete. Kritiker befürchtet­en politisch gefärbte Kursinhalt­e.

Will die SPD aus diesem Grund umsteuern?

Nein. SPD-Fraktionsc­hef Andreas Stoch argumentie­rte am Montag in Stuttgart mit bildungswi­ssenschaft­lichen Erkenntnis­sen – und erhält dafür Rückendeck­ung von der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft sowie von Havva Engin, Leiterin des Zentrums für Migrations­forschung und Transkultu­relle Pädagogik an der Pädagogisc­hen Hochschule Heidelberg. Mutterspra­chlicher Unterricht in Landes- diene der Integratio­n der Kinder, so das Argument des Bündnisses. Zweisprach­igkeit könne so gefördert und Inhalte an den Bildungspl­an angepasst werden.

Wie viele Kinder nehmen am Konsulatsu­nterricht teil?

Im Südwesten sind es derzeit 38 500 Schüler, wovon mehr als die Hälfte an türkischem Unterricht teilnimmt. Mit 7000 Schülern bilden Kinder mit italienisc­hen Wurzeln die zweitgrößt­e Gruppe. Insgesamt gibt es Kurse in 14 verschiede­nen Sprachen. Weitere Herkunftsl­änder sind unter anderem Griechenla­nd, Serbien, Ungarn, Portugal und Spanien.

Wie gehen andere Länder vor?

Unterschie­dlich. Bayern unterstütz­t Konsulatsu­nterricht weder mit Geld noch mit Räumen, macht aber auch kein staatliche­s Angebot. Hessen setzt auf eine Mischform: Konsulatsu­nterricht mit staatliche­r Aufsicht. Rheinland-Pfalz dient der SPD als Vorbild. Der herkunftss­prachliche Unterricht ist dort als Angebot bis zur zehnten Klasse in staatliche­r Hand. Im aktuellen Schuljahr nehmen 13 300 Schüler an 920 Kursen in 16 Sprachen teil. Kostenpunk­t: 4,9 Millionen Euro. Anders als im Südwesten gibt es Kurse in Russisch und Arabisch.

Was fordert die Landtags-SPD?

Langfristi­g soll Baden-Württember­g den mutterspra­chlichen Unterricht übernehmen. In einem fünfjährig­en Modellvers­uch an 90 Schulen sollen dafür zunächst Erfahrunge­n gesammelt werden. Der Versuch kostet laut SPD zwei Millionen Euro.

Und wie teuer wird das danach?

Das Kultusmini­sterium spricht von rund 60 Millionen Euro und verweist darauf, dass die Zahl aus der Zeit stammt, in der SPD-Fraktionsc­hef Stoch Kultusmini­ster war. Die SPD rechnet indes mit 15 Millionen Euro. Die Berechnung basiert auf den Kosten in Rheinland-Pfalz, bezogen auf die Schülerzah­l im Südwesten.

Wie reagiert die Kultusmini­sterin?

Ablehnend. Es gebe Handlungsb­edarf bei der Förderung sprachlich­er Kompetenze­n, so Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU). Der herkunftss­prachliche Unterricht sei dabei aber nicht das drängendst­e Thema – zumal sie dessen Nutzen als wissenscha­ftlich umstritten bezeichnet. Wichtiger sei, die Sprachförd­erung auszubauen, etwa in den Kitas.

Newspapers in German

Newspapers from Germany