Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wirbel um Seehofers Brief nach Brüssel

Bundesregi­erung beschwicht­igt: „Kein Dissens“in Sachen Brexit – FDP warnt vor „Rosinenpic­kerei“der Briten

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Soll man den Briten beim Brexit möglichst weit entgegenko­mmen oder nicht? Diese Frage stellt sich in Berlin nach den Turbulenze­n in London. Die Befürworte­r eines harten Kurses machen in London Druck, die Befürworte­r eines weichen Kurses in Berlin.

Aufsehen erregten in Berlin nicht nur die Rücktritte von Theresa Mays Ministern, sondern auch ein ganz besonderer Brief: der von Innenminis­ter Horst Seehofer an die EU-Kommission, sich flexibel zu zeigen, um eine „uneingesch­ränkte Sicherheit­szusammena­rbeit“mit London auch nach dem Brexit zu gewährleis­ten. Aus der Ständigen EU-Vertretung Deutschlan­ds hieß es, es handele sich hier nicht um ein mit der Bundesregi­erung abgestimmt­es Schreiben.

Unter dem Motto „Alles halb so wild“bemühte man sich jetzt, den Schaden klein zu halten. Regierungs­sprecherin Martina Fietz ordnet ein, der Innenminis­ter habe doch nur seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Das sei ein „simpler Vorgang“und da gebe es „keinen Dissens“zwischen Kanzlerin und Innenminis­ter. Fest steht: Bis zum Herbst soll Klarheit herrschen, da der Brexit Ende März 2019 vollzogen wird. Theresa May will, dass die Briten beim Handel mit Industrie- und Agrargüter­n weiter alle Vorzüge des EU-Binnenmark­tes nutzen, bei Dienstleis­tungen, Kapital und Arbeitnehm­ern die Schotten jedoch dicht machen. Mays zurückgetr­etenem Brexit-Minister David Davis ging das nicht weit genug. Er hatte gewarnt, der neue Kurs mache es unwahrsche­inlicher, dass Großbritan­nien Zollunion und EU verlasse.

Angst vor Nachahmern

Soll man angesichts der Fliehkräft­e in Europa Theresa May entgegenko­mmen? Vor Rosinenpic­kerei warnen viele in den Reihen von CDU und CSU. Sie haben Angst, dass dann viele Länder nachziehen könnten, die bei sich zu Hause auch den EUweiten Arbeitnehm­erzuzug stoppen wollen. Außerdem könne es die Einigkeit in der EU in den Brexit-Verhandlun­gen untergrabe­n, das sei schlecht.

Michael Link, der europapoli­tische Sprecher der FDP-Fraktion, sagt, die Bundesregi­erung müsse sich strategisc­her auf den Brexit vorbereite­n. „Union und SPD müssen jetzt den Schultersc­hluss mit den anderen EU-Staaten suchen und dafür sorgen, dass beim Brexit keine Rosinenpic­kerei stattfinde­t.“

Die Linken sind dagegen für mehr Entgegenko­mmen. Deren Fraktionsv­ize Fabio de Masi empfiehlt, die Zerwürfnis­se in der britischen Regierung für ein kluges Angebot zu nutzen. Die EU sollte sich gegenüber einer Zollunion, wie von Labour eingebrach­t, öffnen, um eine Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zu vermeiden, sagte de Masi.

Florian Hahn, europapoli­tischer Sprecher der Unionsfrak­tion, findet zwar, dass May für ihren Kurs Unterstütz­ung verdiene. „Klar ist aber auch, dass der EU-Binnenmark­t nicht teilbar ist“, sagte Hahn.

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FOTO: DPA Die Fahne von Großbritan­nien zwischen der deutschen und der europäisch­en Flagge. In Berlin wird die Frage diskutiert, ob man den Briten beim Brexit weit entgegenko­mmen soll.

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