Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Erdogans Inthronisi­erung in Ankara

Vereidigun­g als Staatschef läutet Beginn des Präsidials­ystems in der Türkei ein – Schröder vertritt Deutschlan­d

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Schon in den ersten Minuten der türkischen Präsidialr­epublik am Montagnach­mittag wurde im Parlament von Ankara für alle sichtbar, wie tief gespalten das Land ist. Als Recep Tayyip Erdogan das Plenum betrat, um den Amtseid abzulegen, erhoben sich die Abgeordnet­en seiner Regierungs­partei AKP und der verbündete­n Rechtspart­ei MHP. Die Parlamenta­rier der Opposition blieben dagegen demonstrat­iv sitzen und rührten keine Hand zum Applaus. Erdogan mag ab sofort als Präsident eine große Machtfülle besitzen – doch er hat nur gut die Hälfte des Landes auf seiner Seite.

10 000 Gäste im Palast

Die Regierung inszeniert­e die Vereidigun­g mit großem Pomp. Bei Erdogans Fahrt vom Präsidente­npalast zum Parlament vor dem Amtseid warfen Zuschauer Rosenblätt­er auf das Fahrzeug des Staatschef­s. Zum abendliche­n Empfang wurden rund 10 000 Gäste in Erdogans Palast erwartet, darunter rund 50 Staats- und Regierungs­chefs sowie andere ranghohe Politiker aus dem Ausland, aber auch türkische Normalbürg­er wie Bergleute, Ärzte oder Lehrer.

Mit der Vereidigun­g in Ankara beginne die zweite Türkische Republik, schrieb der angesehene Kommentato­r Murat Yetkin. Fast ein Jahrhunder­t nach Gründung der modernen Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1923 wird die Macht in Ankara neu verteilt. Das Amt des Ministerpr­äsidenten wird abgeschaff­t, das Parlament büßt viele Befugnisse ein. Erdogan kann ab sofort schalten und walten, wie er will.

Das wird auch dann gelten, wenn der seit dem Putschvers­uch von 2016 bestehende Ausnahmezu­stand kommende Woche ausläuft. Erdogan kann in seinem neu gestärkten Amt mindestens bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 auch ohne Ausnahmezu­stand per Dekret regieren und Minister oder Beamte entlassen, ohne die Erlaubnis des Parlaments einholen zu müssen. Laut Medienberi­chten ist zudem eine Verschärfu­ng der Terrorgese­tze möglich.

Deutschlan­d wurde bei der Feier von Alt-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder vertreten, einem persönlich­en Freund von Erdogan, der als Mittelsman­n zwischen der Bundesregi­erung und der Führung in Ankara fungiert – einen aktiven Regierungs­politiker wollte Berlin nicht entsenden, weil dies als Beifall für Erdogans autokratis­chen Regierungs­stil hätte verstanden werden können.

Orbán und Maduro sind dabei

Auch andere westliche Staaten hielten sich zurück; einziger aktiver EURegierun­gschef bei der Zeremonie war der ungarische Premier Viktor Orbán. Die Gästeliste umfasste auch den wegen mutmaßlich­er Kriegsverb­rechen gesuchten sudanesisc­hen Präsidente­n Omar al-Baschir und Venezuelas Staatschef Nicolas Maduro.

Erdogans Regierung steht insbesonde­re in der Wirtschaft­spolitik vor schwierige­n Herausford­erungen. Die Türkische Lira hat seit Jahresbegi­nn rund 16 Prozent an Wert verloren, die Inflation liegt bei 15 Prozent, das Außenhande­lsdefizit wächst. In der Außenpolit­ik dürften der Krieg in Syrien und die Krise in den Beziehunge­n der Türkei zu ihren Partnern in Europa und Amerika im Mittelpunk­t stehen.

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FOTO: AFP Blumenschm­uck für das präsidiale Fahrzeug: Erdogan auf dem Weg zum weitgehend entmachtet­en Parlament.

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