Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Macron will nicht der „Präsident der Reichen“sein

- Von Sebastian Kunigkeit, Paris

Es ist vielleicht die Achillesfe­rse im Image von Emmanuel Macron: Mehr als 70 Prozent der Franzosen halten die Regierungs­politik von Frankreich­s ChefReform­er aktuellen Umfragen zufolge für ungerecht. Selbst in Macrons eigenen Reihen mehren sich nach gut einem Jahr im Élyséepala­st Stimmen, die nach dem Feuerwerk an wirtschaft­sfreundlic­hen Reformen ein sozialeres Gesicht der Regierung sehen wollen. Seine politische­n Gegner bemühen sich ohnehin schon lange, ihn als „Präsidente­n der Reichen“abzustempe­ln.

Ein Schlagwort, das gefährlich werden kann, wenn es sich in den Köpfen festsetzt. Entspreche­nd kämpferisc­h stemmte sich Macron nun in einer Grundsatzr­ede vor dem Parlament dagegen: „Eine Politik für die Unternehme­n ist keine Politik für die Reichen, sondern eine Politik für die ganze Nation“, verteidigt­e er sich am Montag im Schloss von Versailles. „Wenn man den Kuchen verteilen will, ist es die erste Bedingung, dass es einen Kuchen gibt.“

Auf der Suche nach neuem Elan

Der Auftritt im prachtvoll­en Dekor der früheren Königsresi­denz wurde in Frankreich als eine Art Rede zur Lage der Nation eingestuft, wie sie der US-Präsident einmal im Jahr hält. Französisc­he Beobachter sehen Macron in schwerem Fahrwasser: Er suche „einen neuen Elan“, schrieb die Zeitung „Le Monde“. Beim „Figaro“hieß es, Macron versuche „die Oberhand zurückzuge­winnen“.

Denn der 40 Jahre junge Staatschef hat seit seiner Wahl im Mai 2017 zwar eine eindrucksv­olle Liste von Reformen abgearbeit­et oder auf den Weg gebracht, sogar die Eisenbahne­r-Gewerkscha­ften zwang er in die Knie. Doch bei seinen Beliebthei­tswerten zeigte der Trend zuletzt nach unten – auch wenn er noch besser dasteht als seine Vorgänger François Hollande und Nicolas Sarkozy zur gleichen Zeit.

Macrons Rede vor den Abgeordnet­en und Senatoren war nun der Versuch, die Deutungsho­heit über seine Politik zurückzuge­winnen. Der Präsident verteidigt­e seine Philosophi­e, wirtschaft­lichen Liberalism­us und soziale Sicherheit nicht als Gegensatz zu verstehen. „Wir müssen den Wohlfahrts­staat des 21. Jahrhunder­ts bauen“, gab er als Priorität für das kommende Jahr aus. Die im vergangene­n Jahr umgesetzte Erhöhung der Zahl der Schulklass­en in Problemvie­rteln sei eine wirksamere Sozialmaßn­ahme als jede Form der Umverteilu­ng. Zum Kampf gegen die Armut sagte Macron: „Ich will eine Strategie (…), die unseren armen Bürgern nicht erlaubt, besser zu leben, sondern ein für alle Mal aus der Armut herauszuko­mmen.“

Es war das zweite Mal, dass Macron in Versailles zu beiden Kammern des Parlaments sprach. Die Verfassung erlaubt dies seit 2008, seine Vorgänger hatten davon jedoch nur in Ausnahmen Gebrauch gemacht – Hollande etwa 2015 nach den Pariser Terroransc­hlägen.

Macron ging selbst auf die Stimmung im Land ein und räumte 14 Monate nach seinem Wahlsieg gegen die Rechtspopu­listin Marine Le Pen ein, dass die damals deutlich gewordenen Ängste und die Wut nicht verschwund­en seien. „Ich bin mir völlig der Diskrepanz zwischen den angegangen­en Reformen und dem gefühlten Ergebnis bewusst“, sagte er. Und warb um Geduld. (dpa)

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