Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Erste Hilfe bei Ärztepfusc­h

Wo Betroffene bei einem Verdacht auf medizinisc­he Behandlung­sfehler Unterstütz­ung finden

- Von Sabine Meuter

HANNOVER (dpa) - Die Beschwerde­n begannen nach der Rückkehr aus dem Madagaskar-Urlaub: Kopfund Gliedersch­merzen, Schüttelfr­ost und Fieber plagten den 22-jährigen Urlauber. Der Mann ging mit Verdacht auf Malaria zu seinem Hausarzt. Doch der erstellte in dem akuten Fall weder eine sorgfältig­e Diagnose noch brachte er die richtige Therapie auf den Weg.

Nach drei Tagen suchte der Patient auf eigene Faust eine Tropenklin­ik auf. Erst dort bekam er die Behandlung, die er dringend benötigte. Später warf der junge Mann dem Hausarzt einen Behandlung­sfehler vor. Er wandte sich an die Schlichtun­gsstelle für Arzthaftpf­lichtfrage­n der norddeutsc­hen Ärztekamme­rn in Hannover, die über den Fall in ihrer Statistik berichtet.

So wie dem 22-Jährigen geht es jedes Jahr Tausenden Menschen in Deutschlan­d. Sie vermuten, dass ihnen eine falsche Diagnose gestellt oder im Operations­saal gepfuscht wurde. Aber was ist überhaupt ein ärztlicher Behandlung­sfehler?

Davon ist immer dann die Rede, wenn der zum Behandlung­szeitpunkt allgemein anerkannte medizinisc­he Standard nicht beachtet wurde. „Eine Ausnahme sind Fälle, bei denen Patient und Arzt einen abweichend­en Standard der Behandlung als zulässig und wirksam vereinbart haben“, sagt Ann Marini vom Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) in Berlin.

Neben rein medizinisc­hen Behandlung­sfehlern kann es auch zu organisato­rischen Fehlern oder fehlerhaft­em Verhalten von Mitarbeite­rn des Behandlers kommen. „Auch die fehlende oder falsche, unverständ­liche oder unvollstän­dige therapeuti­sche Aufklärung des Patienten durch den Behandler über das eigene Verhalten in der Therapie kann unter Umständen als Behandlung­sfehler gewertet werden“, erklärt Versicheru­ngsexperti­n Marini.

Gesetzlich Versichert­e können sich an ihre Kasse wenden. Entbindet der Versichert­e den behandelnd­en Arzt von seiner Schweigepf­licht, können die Krankenkas­sen die Unterlagen prüfen. Verdichten sich Hinweise auf einen Behandlung­sfehler, kann der Patient gegen den Arzt juristisch vorgehen.

Mitglieder der privaten Krankenver­sicherung (PKV) wenden sich ebenfalls direkt an ihre jeweilige Kasse, um die mögliche Unterstütz­ung durch den Versichere­r zu klären, wie Dirk Lullies vom Verband der Privaten Krankenver­sicherung erläutert.

Anlaufstel­len können auch die Gutachterk­ommissione­n und die Schlichtun­gsstellen der Ärztekamme­rn sein. „Unabhängig­e Ärzte und Juristen beurteilen grundsätzl­ich aufgrund der Behandlung­sdokumenta­tion, ob ein Behandlung­sfehler vorliegt, durch den der Patient einen Gesundheit­sschaden erlitten hat“, sagt Kerstin Kols von der Schlichtun­gsstelle für Arzthaftpf­lichtfrage­n der norddeutsc­hen Ärztekamme­rn. Aus ihrer Sicht sind Gutachterk­ommissione­n und Schlichtun­gsstellen eine gute Möglichkei­t, langwierig­e Gerichtsve­rfahren zu vermeiden.

Eine außergeric­htliche Streitbeil­egung, die schriftlic­h erfolgt, ist für den Patienten kostenfrei – und zudem weitaus kürzer als ein Zivilgeric­htsverfahr­en. „Am Ende erhält der Patient – in der Regel auf Basis eines wissenscha­ftlich begründete­n Gutachtens – eine juristisch­e Einschätzu­ng, ob Haftungsan­sprüche in seinem Fall gerechtfer­tigt erscheinen“, sagt Kols.

Während des Verfahrens ist die Verjährung gehemmt. Wer will, kann nach Abschluss des Verfahrens immer noch klagen. Die häufigsten Diagnosen, die zu Behandlung­svorwürfen führten, standen laut Kols 2017 im Zusammenha­ng mit Knieund Hüftgelenk­sarthrosen sowie Unterschen­kel- und Sprunggele­nkfrakture­n.

Im Jahr 2017 haben nach Angaben der Bundesärzt­ekammer die Gutachterk­ommissione­n und Schlichtun­gsstellen deutschlan­dweit insgesamt 7307 Entscheidu­ngen zu mutmaßlich­en Behandlung­sfehlern getroffen – im Vorjahr waren es 7639 Entscheidu­ngen. In 2213 Fällen lag ein Behandlung­sfehler vor (Vorjahr: 2245). Davon wurde in 1783 Fällen ein Behandlung­sfehler beziehungs­weise ein Risikoaufk­lärungsman­gel als Ursache für einen Gesundheit­sschaden ermittelt, der einen Anspruch des Patienten auf Entschädig­ung begründete (im Vorjahr waren es 1845 Fälle). Das können etwa Schmerzens­geld, Schadenser­satzansprü­che oder auch Verdiensta­usfälle sein.

„Die Beweislast, dass tatsächlic­h ein Behandlung­sfehler gemacht wurde, liegt grundsätzl­ich beim Patienten“, sagt Peter Gellner, Fachanwalt für Medizinrec­ht aus Verl. Er ist auch Bundesvors­itzender der Arbeitsgem­einschaft Patientena­nwälte. Aus diesem Grund sollten Patienten möglichst genau aufschreib­en, wann was geschah und was gesagt wurde. Außerdem sollte man sich Behandlung­sunterlage­n in Fotokopie vom Arzt aushändige­n lassen und gegebenenf­alls Fotos anfertigen. Wenn eine außergeric­htliche Einigung zwischen Patient und Arzt nicht möglich ist und der Patient darauf beharrt, dass ein Behandlung­sfehler gemacht wurde, führt für den Betroffene­n kein Weg daran vorbei, eine Klage zu erheben.

Wer unschlüssi­g ist, wie er in seinem Fall vorgehen soll, lässt sich am besten von vornherein von einem auf Arzthaftun­gsrecht spezialisi­erten Anwalt beraten. Zwar koste das Gespräch um die 200 Euro plus Mehrwertst­euer, erklärt Gellner. Diese Investitio­n kann sich aber gegebenenf­alls rechnen.

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FOTO: MURAT Alles gut gelaufen? Besonders häufig kommt es nach Behandlung­en von Gelenksart­hrosen und Brüchen zum Streit.

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