Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Nichtfußballer in der Fußballwelt
Fußballweltmeisterschaften (wahlweise auch Europameisterschaften) bieten immer viel Zeit und reichlich Gelegenheiten für peinliche Momente für den Nichtfußballer (oder sogar Fußballhasser?). Fettnäpfchen gibt es noch und nöcher. Spätestens wenn wieder die Mehrzahl der Menschen vor den Fernsehgeräten sitzt, sich mit Bieratem laut über die Verletzungen, Fouls und die Unfähigkeit der Spieler (wahlweise auch der Fußballtrainer der unterlegenen Mannschaft) unterhält oder gar streitet, merkt zumindest der Nichtfußballer, dass jetzt wieder eine Zeit angebrochen ist, in der die sonstigen Regeln nicht mehr gelten. Seien es Umgangsformen, Respekt oder gar Terminkalender. Alles ist plötzlich möglich, was sonst – zur „normalen“Zeit – völlig unmöglich ist.
Im Büro, bei der Familie, in der Stadt oder sonst wo darf man sich dann die Spekulationen über das Weiterkommen von Mannschaft A und B anhören. Jeder hat da seine ganz eigene Theorie, die er bis aufs Blut verteidigt. Ein Entkommen gibt es selten – außer man hat zufällig ein gemeinsames Feindbild gefunden, zum Beispiel einen Spieler, den man nicht mag.
Der Nichtfußballer denkt an diesem Punkt nur: „Was ändert das jetzt in der Welt? Hört auf und redet mal über Dinge, die es wirklich wert sind zu diskutieren!“Und in diesem Moment wird man mit grinsendem Gesicht (wohl wissend, dass man nichts von der Materie versteht und verstehen will) mit der Frage „Was sagst denn du dazu?“konfrontiert. Dementsprechend gibt es dann natürlich unsportlich-unfußballerische Antworten à la „Die Nation, die einen Sieg nötig hat“. Zum Beispiel ist Belgien ein gespaltenes Land, dem würde ein solcher Sieg guttun. Oder Kroatien, weil es die noch nie geschafft haben. Oder ein afrikanisches Land, weil dort Fußball eine ganz andere und viel wichtigere Rolle spielt als in Deutschland. Als Antwort gibt es Lacher und/oder rollende Augen. Na und? Vielleicht bringt es ja jemanden zum Nachdenken? Wohl eher nicht im WM-Zustand ... Tatsächlich – und man darf es eigentlich nicht laut sagen – hat sich in Deutschland auch ein kleiner Prozentsatz über das Ausscheiden der Nationalelf gefreut. Nicht, weil der Nichtfußballer den anderen keinen Spaß gönnt, sondern viel mehr, damit er seine Ruhe hat, sein Umfeld „normal“erleben kann und nicht ständig mit Fachgesimple unausweichlich terrorisiert wird. Außerdem war es dem Nichtfußballer bei dieser WM tatsächlich möglich, mit Freunden etwas zu unternehmen, ohne dass irgendein Spiel im Weg gestanden ist.
Und zum Ende dieser WM (na endlich!) schwirrt dem Nichtfußballer schon wieder eine dieser blöden, unsportlichen (und vielleicht naiven) Fragen im Kopf herum: Ich dachte die ganze Zeit, bei der WM geht es um Fußball, und warum will jetzt kaum noch jemand Fußball schauen? Wieso werden jetzt WMPartys abgesagt, wenn es doch noch (spannende?) Fußballspiele gibt?
Vielleicht gehören jetzt auch Sie zu den 95 Prozent, die an diesem Punkt denken werden: Was verzapft uns der auf diesen Zeilen? Der versteht auch überhaupt keinen Spaß. Der soll doch jedem seine Freude lassen. Nein, das stimmt so nicht. Der gehört bloß zu den restlichen fünf Prozent, die sich darüber freuen, wenn man ihnen die Freude lässt, sich während der WM mit anderen Dingen zu beschäftigen und glücklich ist, nicht genötigt zu werden, 22 Männern beim Ballkicken zuschauen zu müssen.
Ein schönes Wochenende und viel Spaß beim Finale „Frankreich gegen Kroatien“am Sonntag! (Spielbeginn ist übrigens um 17 Uhr.)