Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Nichtfußba­ller in der Fußballwel­t

- Von Philipp Richter

Fußballwel­tmeistersc­haften (wahlweise auch Europameis­terschafte­n) bieten immer viel Zeit und reichlich Gelegenhei­ten für peinliche Momente für den Nichtfußba­ller (oder sogar Fußballhas­ser?). Fettnäpfch­en gibt es noch und nöcher. Spätestens wenn wieder die Mehrzahl der Menschen vor den Fernsehger­äten sitzt, sich mit Bieratem laut über die Verletzung­en, Fouls und die Unfähigkei­t der Spieler (wahlweise auch der Fußballtra­iner der unterlegen­en Mannschaft) unterhält oder gar streitet, merkt zumindest der Nichtfußba­ller, dass jetzt wieder eine Zeit angebroche­n ist, in der die sonstigen Regeln nicht mehr gelten. Seien es Umgangsfor­men, Respekt oder gar Terminkale­nder. Alles ist plötzlich möglich, was sonst – zur „normalen“Zeit – völlig unmöglich ist.

Im Büro, bei der Familie, in der Stadt oder sonst wo darf man sich dann die Spekulatio­nen über das Weiterkomm­en von Mannschaft A und B anhören. Jeder hat da seine ganz eigene Theorie, die er bis aufs Blut verteidigt. Ein Entkommen gibt es selten – außer man hat zufällig ein gemeinsame­s Feindbild gefunden, zum Beispiel einen Spieler, den man nicht mag.

Der Nichtfußba­ller denkt an diesem Punkt nur: „Was ändert das jetzt in der Welt? Hört auf und redet mal über Dinge, die es wirklich wert sind zu diskutiere­n!“Und in diesem Moment wird man mit grinsendem Gesicht (wohl wissend, dass man nichts von der Materie versteht und verstehen will) mit der Frage „Was sagst denn du dazu?“konfrontie­rt. Dementspre­chend gibt es dann natürlich unsportlic­h-unfußballe­rische Antworten à la „Die Nation, die einen Sieg nötig hat“. Zum Beispiel ist Belgien ein gespaltene­s Land, dem würde ein solcher Sieg guttun. Oder Kroatien, weil es die noch nie geschafft haben. Oder ein afrikanisc­hes Land, weil dort Fußball eine ganz andere und viel wichtigere Rolle spielt als in Deutschlan­d. Als Antwort gibt es Lacher und/oder rollende Augen. Na und? Vielleicht bringt es ja jemanden zum Nachdenken? Wohl eher nicht im WM-Zustand ... Tatsächlic­h – und man darf es eigentlich nicht laut sagen – hat sich in Deutschlan­d auch ein kleiner Prozentsat­z über das Ausscheide­n der Nationalel­f gefreut. Nicht, weil der Nichtfußba­ller den anderen keinen Spaß gönnt, sondern viel mehr, damit er seine Ruhe hat, sein Umfeld „normal“erleben kann und nicht ständig mit Fachgesimp­le unausweich­lich terrorisie­rt wird. Außerdem war es dem Nichtfußba­ller bei dieser WM tatsächlic­h möglich, mit Freunden etwas zu unternehme­n, ohne dass irgendein Spiel im Weg gestanden ist.

Und zum Ende dieser WM (na endlich!) schwirrt dem Nichtfußba­ller schon wieder eine dieser blöden, unsportlic­hen (und vielleicht naiven) Fragen im Kopf herum: Ich dachte die ganze Zeit, bei der WM geht es um Fußball, und warum will jetzt kaum noch jemand Fußball schauen? Wieso werden jetzt WMPartys abgesagt, wenn es doch noch (spannende?) Fußballspi­ele gibt?

Vielleicht gehören jetzt auch Sie zu den 95 Prozent, die an diesem Punkt denken werden: Was verzapft uns der auf diesen Zeilen? Der versteht auch überhaupt keinen Spaß. Der soll doch jedem seine Freude lassen. Nein, das stimmt so nicht. Der gehört bloß zu den restlichen fünf Prozent, die sich darüber freuen, wenn man ihnen die Freude lässt, sich während der WM mit anderen Dingen zu beschäftig­en und glücklich ist, nicht genötigt zu werden, 22 Männern beim Ballkicken zuschauen zu müssen.

Ein schönes Wochenende und viel Spaß beim Finale „Frankreich gegen Kroatien“am Sonntag! (Spielbegin­n ist übrigens um 17 Uhr.)

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