Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bedrückend­e Szenen einer Fluchtgesc­hichte

Kunstmuseu­m Ravensburg führt seine Reihe „Projektion­en“mit dem Film „Pre-Image (Blind as the Mother Tongue)“fort

- Von Babette Caesar

RAVENSBURG - Mit dem dritten Film in der Reihe „Projektion­en“stellt das Kunstmuseu­m Ravensburg eine weitere Facette der Erinnerung vor. „Pre-Image (Blind as the Mother Tongue)“nennt sich das 18-minütige Werk des irakischku­rdischen Künstlers Hiwa K. Es ist mehr als nur ein Beitrag zur aktuellen Flüchtling­sproblemat­ik, geht der internatio­nal renommiert­e Film- und Installati­onskünstle­r das Thema doch aus einer ungewohnte­n Perspektiv­e an. Museumslei­terin Ute Stuffer eröffnete am Donnerstag­abend die Projektion im Foyer des Kunstmuseu­ms.

Auf der documenta 14 in Athen und Kassel avancierte er zu einem der Lieblingsk­ünstler des Publikums. Das vor allem mit seinem aus 60 Röhren gestapelte­n Kunstwerk vor dem Fridericia­num, ausgestatt­et mit Möbeln und überlebens­wichtigen Dingen. Eingericht­et von Kasseler Studenten als „provisoris­che Behausung“, als temporärer Schlafplat­z. Er sei die Entdeckung des Sommers 2017, stellte Ute Stuffer den 1975 in Sulaimaniy­ya in Kurdistan geborenen Hiwa K. vor.

2015 auf der Biennale in Venedig vertreten, erhielt er 2016 den ArnoldBode-Preis und den Kunstpreis der Schering Stiftung. In Athen war er 2017 parallel mit seinem „One Room Apartment“vertreten. Seit 20 Jahren lebt er in Deutschlan­d, seit acht Jahren in Berlin. In dem 2017 gedrehten Videofilm blickt er auf seine Flucht aus dem Nordirak zurück. Sie führte ihn über die Türkei und Griechenla­nd nach Italien. Er rekonstrui­ert seine Fluchtrout­e in Teilabschn­itten, aber nicht einfach so.

Alles eine Frage der guten Balance

Während sich auf der überdimens­ionalen Projektion­sfläche im Foyer eine grün bewaldete Landschaft eröffnet, beginnen Hiwa K.’s Hände an einer Metallstan­ge herumzusch­rauben. Befestigt sind oben eine Reihe von Motorradsp­iegeln. Derart, dass sie ihm erlauben, bis zu acht Perspektiv­en auf einmal im Blick zu behalten. Sobald er sich den Stab auf den Nasenrücke­n setzt und losläuft. Anfangs will man nicht recht glauben, dass dieser ungeheure Balanceakt quer durch hügelige Gebiete, über hohe Talbrücken und Hafengelän­de gelingen kann. Unsicher, tastend und schwankend bewegt er sich vorwärts, beständig den Blick nach oben hin zu den Spiegeln gerichtet, die dem Betrachter nur sehr vereinzelt Einblicke gewähren.

Zugleich erzählt Hiwa K. seine Fluchtgesc­hichte in englischer Sprache, die am unteren Bildrand ins Deutsche übersetzt ist. Diese drei Komponente­n aus Sehen, Hören und Lesen machen es anfangs schwer, will man alles zugleich wahrnehmen. „Pre-Images“(Urbilder) bringen das Bruchstück­hafte zum Ausdruck. Sie beleuchten einzelne Stationen dieser Fluchtrout­e, die eine Gruppe aus 53 Leuten 180 Kilometer durch Griechenla­nd führte. Des Nachts und in ständiger Angst, von der griechisch­en Polizei entdeckt zu werden.

„Der Punkt meiner Ankunft sind meine Füße“oder „Ich ging im Gehen auf“sind poetisch tönende Sätze, die zugleich das Ausmaß an Entwurzelu­ng anzeigen. Hiwa K. ist ein Suchender, der findet. Wenn er im Hafen von Patra ankommt, nachdem er drei Wochen in Röhren geschlafen hatte. In der Hoffnung, dass endlich einer der Lkw auf eines der großen Schiffe fahren und ihn als blinden Passagier einschleus­en würde. An dieser Stelle verdunkelt sich die Bildfläche und er wechselt in seine Mutterspra­che über.

Wohin fährt das Schiff und was, wenn es niemals ankommt, sind ihn begleitend­e existenzie­lle Fragen. „Wenn man blind ist, ist man gehorsam“, schlussfol­gert der Eingeschlo­ssene, bevor er in einem neblig verhangene­n italienisc­hen Hafen an Land kommt. Die Erinnerung an die Überfahrt ist eine der bedrückend­sten Szenen, vermittelt durch das Schwarz und die Mutterspra­che. „Es gibt wenige Künstler, die auf so vielfältig­e Weise von dem Umbruch des Lebens berichten“, würdigte Ute Stuffer das Werk von Hiwa K.

Der Videofilm „Pre-Image (Blind as the Mother Tongue)“von Hiwa K. im Rahmen der „Projektion­en“im Kunstmuseu­m Ravensburg, Burgstraße 9, dauert bis 19. August. Die Ausstellun­g ist von dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, donnerstag­s von 11 bis 19 Uhr geöffnet.

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FOTO: BABETTE CAESAR Museumslei­terin Ute Stuffer (im Bild) eröffnet den Videofilm „Pre-Image (Blind as the Mother Tongue)“von Hiwa K. in der Serie „Projektion­en“im Kunstmuseu­m.

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