Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Barley sieht Rechtsstaa­t in Gefahr

Fall des abgeschobe­nen Bin-Laden-Leibwächte­rs schlägt hohe politische Wellen

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - Am Sonntag schaltet sich Justizmini­sterin Katarina Barley in den Fall Sami A. ein: „Es muss gelten, was Gerichte entscheide­n. Das ist die Grundlage jedes Rechtsstaa­tes“, twittert die SPD-Politikeri­n aus dem Urlaub. „Wer daran zweifelt, stellt die Verfassthe­it unseres Staates in Frage.“Harter Tobak. Die Justizmini­sterin sieht es als hochproble­matisch an, dass der Ex-Leibwächte­r von Osama bin Laden trotz Abschiebev­erbotes des Gelsenkirc­hener Verwaltung­sgerichts am vergangene­n Freitag nach Tunesien zurückgebr­acht worden war.

Der Fall wird zum Politikum, Bundesinne­nminister Horst Seehofer gerät in Bedrängnis. Hat er die Abschiebun­g des Gefährders Sami A. unrechtmäß­ig vorangetri­eben? Der nordrhein-westfälisc­he SPD-Abgeordnet­e Sven Wolf stellt am Wochenende Strafanzei­ge gegen den CSUChef, wirft ihm Ungeheuerl­iches vor: Seehofer habe „ganz bewusst mal das Recht brechen wollen, um zu zeigen, dass er etwas machen kann“. Regelrecht wütend ist man beim Verwaltung­sgericht in Gelsenkirc­hen. „Der Rechtsstaa­t ist hier vorgeführt worden“, beklagt der Vorsitzend­e Richter Wolfgang Thewes. Auf wen genau sein Vorwurf zielt, lässt er offen. Das Gericht erklärt die Abschiebun­g für „grob rechtswidr­ig“und verlangt, das frühere Mitglied von bin Ladens Leibgarde müsse „unverzügli­ch“zurück nach Deutschlan­d geholt werden.

Die Fakten: Am Freitagmor­gen wird Sami A. in einen von der Bundespoli­zei gechartert­en Kleinjet gesetzt und ins tunesische Hammamet geflogen. Angeordnet wird die Abschiebun­g vom Flüchtling­sministeri­um NRW. Am Vorabend hatte das Gericht ein Abschiebev­erbot beschlosse­n, weil dem Gefährder in Tunesien Folter drohe. Doch das Fax mit dem Urteil geht bei der Flüchtling­sbehörde und beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (BAMF) erst ein, als Sami A. schon in der Luft und außerhalb des deutschen Luftraums ist – heißt es jedenfalls von den zuständige­n Behörden. Seehofer selbst, so eine Sprecherin, habe erst nach der Landung und Übergabe des mutmaßlich­en Islamisten an die Behörden seines Heimatstaa­tes von der Aktion erfahren.

Der Verdacht, der im Raum steht und auch am Wochenende nicht aufgeklärt wird: Sowohl das BAMF als auch die Bundespoli­zei – beide sind Seehofer unterstell­t – informiert­en das Gericht in Gelsenkirc­hen absichtlic­h nicht rechtzeiti­g über den Abschiebef­lug, um zu verhindern, dass das Abschiebev­erbot rechtzeiti­g vor dem Start übermittel­t wurde. „Das verlangt Aufklärung und politische Konsequenz­en“, fordert SPDVize Ralf Stegner. Durch die Zweifel, die Behörden hätten womöglich die Justiz getäuscht, sei „großer politische­r Schaden angerichte­t worden“. Eine scharfe Attacke fährt auch FDPVize Wolfgang Kubicki. Es werde sich rächen, sagt er am Sonntag, „dass die Erosion des Rechtsstaa­tes von denjenigen vorangetri­eben wird, die zu seiner Verteidigu­ng aufgerufen sind“.

Der Fall Sami A. könnte einen erhebliche­n Kollateral­schaden verursache­n. Dabei hatte die Abschiebun­g, die immer wieder an juristisch­en Hürden gescheiter­t war, zunächst parteiüber­greifend für Erleichter­ung gesorgt. So sagte etwa der innenpolit­ische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Burkhard Lischka: „Ehrlich: Ich weine dem Herren keine Träne hinterher.“Rainer Wendt, Bundesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft, erklärt am Sonntag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Nur, weil der Warnung einer Anwältin geglaubt wurde, dass Sami A. in Tunesien gefoltert werden würde, ist seine Abschiebun­g jahrelang verschlepp­t worden.“Es gebe keine Belege dafür, dass dem Gefährder in seiner Heimat Folter drohe, deswegen dürfe er auch nicht zurückgeho­lt werden, sagt Wendt.

Klar ist: Die Eilabschie­bung wird ein Nachspiel haben. Zunächst aber ermitteln die tunesische­n Anti-Terror-Behörden gegen Sami A. Finden sie Beweise für seine Verstricku­ng in Anschläge, dürfte der 42-Jährige in seiner Heimat für lange Zeit im Gefängnis landen. Das Innenminis­terium von NRW hat seinerseit­s Widerspruc­h angekündig­t gegen den Beschlussd­es Gelsenkirc­hener Gerichtes, wonach Sami A. unverzügli­ch zurückgeho­lt werden müsse.

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