Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit kühlem Kopf zum weichen Brexit

- Von Sebastian Borger, London

Kaum hatte US-Präsident Donald Trump ihren Landsitz Chequers verlassen, musste sich Theresa May wieder ihrer aktuellen Kernaufgab­e zuwenden: Dem Kampf um ihre neue Brexit-Strategie und damit auch um ihr Überleben im Amt der Premiermin­isterin. Heute steht der konservati­ven Regierungs­chefin neues Ungemach ins Haus: In seiner Zeitungsko­lumne will der zurückgetr­etene Außenminis­ter Boris Johnson sein Schweigen brechen, ehe er nachmittag­s im Unterhaus eine kurze Rücktritts­erklärung abgibt. Hardliner drängen den Brexit-Vormann zum Aufstand: „Eine weitere Chance bekommt er nicht.“

Nachdem sie in Chequers einflussre­iche Hinterbänk­ler umgarnt hatte, ging May am Sonntag in einer Zeitungsko­lumne und im BBC-Studio in die Offensive. Wer ihr Knüppel zwischen die Beine werfe, setze den EU-Austritt an sich aufs Spiel. Schließlic­h stehe die Labour-Opposition unter Jeremy Corbyn zur Machtübern­ahme bereit. Einwände wischte sie beiseite. „Viele Leute haben mit dem Herzen abgestimmt. Ich muss kühlen Kopf bewahren und praktisch bleiben.“Damit meint May das Brexit-Weißbuch, dessen Inhalt Johnson und Brexit-Minister David Davis zum Rücktritt veranlasst­e. Brexit-Ultra Jacob Rees-Mogg nennt das 98-seitige Schriftwer­k verächtlic­h „das Kapitulati­onspapier“.

Mays Ideen von einem „Assoziatio­nsabkommen“; vom Verbleib der Insel in einer Freihandel­szone für Güter unter einem „gemeinsame­n Regelwerk“, sprich: den geltenden EU-Direktiven; von der „angemessen­en Aufmerksam­keit“, die britische Gerichte auch zukünftig den Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fs EuGH widmen sollen – all dies ergibt einen viel weicheren Brexit, als ihn May und ihre Partei bisher mit dem Austritt aus Zollunion und Binnenmark­t verfolgt hatten.

Der Kurswechse­l ist dem lauter werdenden Einspruch aus der Industrie und der harten Brüsseler Verhandlun­gsposition geschuldet. Doch Realismus steht bei vielen Tory-Mitglieder­n und -Wählern nicht hoch im Kurs. Erstmals seit Monaten liegt Labour in Umfragen bis zu fünf Punkte vor den Konservati­ven.

Gebannt wartet das politische London nun auf die erste Kolumne des gelernten Journalist­en Johnson in seinem Leib- und Magenblatt „Daily Telegraph“. Wird er, wie bereits in seinem Rücktritts­schreiben, Großbritan­niens zukünftige­n Status als „Kolonie“der EU beschwören? Klar ist: Für eine Herausford­erung Mays bleibt wenig Zeit. Schon in zehn Tagen begibt sich das Parlament in die Ferien; bis dahin müsste die Vertrauens­abstimmung in der Fraktion über die Bühne gegangen sein. Um dies herbeizufü­hren, müssten 48 von 316 Torys einen Brief an den zuständige­n Parteiobma­nn schreiben. Doch Mays Lager kämpft. Tatsächlic­h wirkt unwahrsche­inlich, dass sich eine Mehrheit hinter Johnson versammelt. Vor allem aber müssten er oder Davis eine Alternativ­e zum neuen Regierungs­plan vorlegen. Vielleicht wollen sie ja Trumps Idee in die Tat umsetzen? Der US-Präsident, verriet May am Sonntag lächelnd, habe ihr „geraten, die EU zu verklagen“anstatt mit Brüssel zu verhandeln.

 ??  ?? Von Angie zu Angie in der Stunde des Triumphes
Von Angie zu Angie in der Stunde des Triumphes

Newspapers in German

Newspapers from Germany