Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
. Der Begriff „Raubtierkapitalismus“für die gegenwärtige, und so sie nicht gestoppt werden kann, finale Plünderung des gesamten Planeten, ist falsch, denn kein Raubtier nahm sich jemals mehr, als es zum Leben brauchte und als zum Überleben seines Eco-Systems nötig war. Die von transnationalen Konzernen und Banken erfundene Globalisierung ist zu einer weltbeherrschenden Ideologie geworden, wie alle Ideologien ein Herrschaftssystem, das mit absolutem Gültigkeitsanspruch alle gesellschaftlichen Bereiche erobert. Die Ideologie des grenzenlosen, hemmungslosen Wachstums frisst nicht nur Natur und Menschen, sie frisst Kulturen; über Jahrhunderte entstandene, nachhaltige, angepasste Formen von Urbanität, Handwerk, Agro-, Forst- oder Fischereisysteme. Sie zerstört historisch-kulturelles Bewusstsein, damit nur noch eine der Warengesellschaft nützliche Form kultureller Bewusstlosigkeit gelebt wird. Wenn, wie Wissenschaftler es inzwischen für realistisch halten, auch nur ein Teil des Planeten für die künftigen Generationen gerettet werden kann, braucht es neues Denken, einen interdisziplinär und weltweit vernetzten Kulturwandel. Den zu vermitteln hat Jacob Radloff vor bald 30 Jahren sein „Büro für Ökologie und Kommunikation“gegründet, aus dem der oekom Verlag hervorging. „Handlungsorientiert, wissenschaftlich fundiert und verständlich formuliert“, so die Leitziele, erscheinen Titel, die sich mit all jenen brisanten, relevanten Themen beschäftigen, die in Brüssel wie in den nationalen EU-Parlamenten das Gros der Abgeordneten nicht buchstabieren kann. Tiim Jacksons „Wohlstand ohne Wachstum“, Niko Paechs „Befreiung vom Überfluss“oder „2052 – Der neue Bericht an den Club of Rome“waren einige der frühen Erfolge. In einem der jüngsten Titel, „Deutschland neu denken. Acht Szenarien für unsere Zukunft“zerlegen vier Autoren aus Ingenieurwissenschaften und Politologie diese Republik in transparente, beispielhafte Mikro-Ökonomien, spielen sie bis 2030 durch: Wie sieht dieses Land aus, wenn weitergewurstelt, wenn ein wenig geändert, wenn wie und wo neu gedacht würde. Erhellend. Vor allem mit Blick auf die gegenwärtigen Szenarien. Die Liste der Autoren ist so atemberaubend wie die wissenschaftlichen Disziplinen und Forschungsinstitute, die sie mit konkreten Projekten und Erfahrungen einbringen – Philosophie und Psychologie, Erziehungs- und Kulturwissenschaften, wenn es um die Gründe geht, unter welchen Bedingungen Menschen bewusst, lernfähig oder egoman leben. So fragt Marianne Gronemeyer nach „Grenzen“, die wir brauchen, Christian Hiß beschreibt die Freiburger Bürgeraktiengesellschaft als ein basisdemokratisches Modell, Thomas Vogels Titel ist das Gegenteil von Retro-Kitsch: „Mäßigung. Was wir von einer alten Tugend lernen können.“Der Zukunftsforscher Hans-Peter Dürr repräsentierte das, was den Geist dieses Verlages ausmacht: Ermutigungen zu einem anderen Denken, zu einem anderen Leben. Und gewiss kein Kneippsandaliges, unsinnliches und ungewürztes, wofür es den Kulinarischen Reiseführer und die Kooperation mit Food Watch in diesem lebendigen Verlag gibt, der Ökonomie und Ökologie zusammenbringt.
Die beiden Kolumnisten wünschen erholsame Ferien.