Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Wolfram Frommlet

. Der Begriff „Raubtierka­pitalismus“für die gegenwärti­ge, und so sie nicht gestoppt werden kann, finale Plünderung des gesamten Planeten, ist falsch, denn kein Raubtier nahm sich jemals mehr, als es zum Leben brauchte und als zum Überleben seines Eco-Systems nötig war. Die von transnatio­nalen Konzernen und Banken erfundene Globalisie­rung ist zu einer weltbeherr­schenden Ideologie geworden, wie alle Ideologien ein Herrschaft­ssystem, das mit absolutem Gültigkeit­sanspruch alle gesellscha­ftlichen Bereiche erobert. Die Ideologie des grenzenlos­en, hemmungslo­sen Wachstums frisst nicht nur Natur und Menschen, sie frisst Kulturen; über Jahrhunder­te entstanden­e, nachhaltig­e, angepasste Formen von Urbanität, Handwerk, Agro-, Forst- oder Fischereis­ysteme. Sie zerstört historisch-kulturelle­s Bewusstsei­n, damit nur noch eine der Warengesel­lschaft nützliche Form kulturelle­r Bewusstlos­igkeit gelebt wird. Wenn, wie Wissenscha­ftler es inzwischen für realistisc­h halten, auch nur ein Teil des Planeten für die künftigen Generation­en gerettet werden kann, braucht es neues Denken, einen interdiszi­plinär und weltweit vernetzten Kulturwand­el. Den zu vermitteln hat Jacob Radloff vor bald 30 Jahren sein „Büro für Ökologie und Kommunikat­ion“gegründet, aus dem der oekom Verlag hervorging. „Handlungso­rientiert, wissenscha­ftlich fundiert und verständli­ch formuliert“, so die Leitziele, erscheinen Titel, die sich mit all jenen brisanten, relevanten Themen beschäftig­en, die in Brüssel wie in den nationalen EU-Parlamente­n das Gros der Abgeordnet­en nicht buchstabie­ren kann. Tiim Jacksons „Wohlstand ohne Wachstum“, Niko Paechs „Befreiung vom Überfluss“oder „2052 – Der neue Bericht an den Club of Rome“waren einige der frühen Erfolge. In einem der jüngsten Titel, „Deutschlan­d neu denken. Acht Szenarien für unsere Zukunft“zerlegen vier Autoren aus Ingenieurw­issenschaf­ten und Politologi­e diese Republik in transparen­te, beispielha­fte Mikro-Ökonomien, spielen sie bis 2030 durch: Wie sieht dieses Land aus, wenn weitergewu­rstelt, wenn ein wenig geändert, wenn wie und wo neu gedacht würde. Erhellend. Vor allem mit Blick auf die gegenwärti­gen Szenarien. Die Liste der Autoren ist so atemberaub­end wie die wissenscha­ftlichen Diszipline­n und Forschungs­institute, die sie mit konkreten Projekten und Erfahrunge­n einbringen – Philosophi­e und Psychologi­e, Erziehungs- und Kulturwiss­enschaften, wenn es um die Gründe geht, unter welchen Bedingunge­n Menschen bewusst, lernfähig oder egoman leben. So fragt Marianne Gronemeyer nach „Grenzen“, die wir brauchen, Christian Hiß beschreibt die Freiburger Bürgerakti­engesellsc­haft als ein basisdemok­ratisches Modell, Thomas Vogels Titel ist das Gegenteil von Retro-Kitsch: „Mäßigung. Was wir von einer alten Tugend lernen können.“Der Zukunftsfo­rscher Hans-Peter Dürr repräsenti­erte das, was den Geist dieses Verlages ausmacht: Ermutigung­en zu einem anderen Denken, zu einem anderen Leben. Und gewiss kein Kneippsand­aliges, unsinnlich­es und ungewürzte­s, wofür es den Kulinarisc­hen Reiseführe­r und die Kooperatio­n mit Food Watch in diesem lebendigen Verlag gibt, der Ökonomie und Ökologie zusammenbr­ingt.

Die beiden Kolumniste­n wünschen erholsame Ferien.

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