Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„In Sizilien bin ich auch Ausländer“
Serie: Gastarbeiter aus drei Generationen im Porträt – Heute: Mario Motisi
RAVENSBURG (sz) - Eine Ausstellung über die Geschichte der Gastarbeiter in Ravensburg gibt es im Herbst im Museum Humpisquartier zu sehen. Dabei werden auch 30 Zeitzeugenporträts zu sehen sein. Die „Schwäbische Zeitung“veröffentlicht vier Porträts vorab in loser Folge.
Mario Motisi kam am 15. März 1969 nach Deutschland. Der Maurer wurde 1950 in Calatafimi Segesta in Sizilien geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Ein schweres Erdbeben erschütterte 1968 den Westen Siziliens. Obwohl das Heimatdorf von Mario Motisi verschont blieb, verschlimmerte das Ereignis die wirtschaftliche Situation. Während eines Besuchs bei seinem Cousin fand auch Mario Motisi einen Arbeitsplatz in Deutschland. Nach einigen Jahren kehrte er nach Sizilien zurück, als Einzelkind wollte er sich um seine Eltern kümmern. Doch waren in Sizilien keine Arbeit oder Verdienstmöglichkeiten vorhanden, ein zweites Mal entschied er sich, nach Deutschland zu gehen. Seine große Leidenschaft galt dem Billard, schon in Italien als kleiner Junge begann er zu spielen. In Deutschland setzte er das im Verein fort und erlangte den achten Platz in der deutschen Meisterschaft beim Pool-Billard. Auf einer Heimfahrt im Zug lernte er seine ebenfalls italienische Ehefrau kennen. Heute können sich beide eine Rückkehr nach Italien nicht mehr vorstellen.
Erdbeben 1968: „In Italien war ● das, ich erinnere mich noch, ich war in einem Saal Billard spielen. Am 14. Januar 1968 war das Erdbeben um zwei Uhr. Danach war alles kaputt, also der Ort, wo ich herkomme, nicht, aber 10 Kilometer weiter sind fünf Ortschaften alle kaputt gegangen. Das war schon schlimm damals.“
Mentalität: „Die Mentalität ist ganz anders wie bei uns und die Sprache sowieso, ist schwer zu lernen. Die Kultur ist anders, aber wir sind Europäer.“ Emotionen beim Fußball: „Ich war 1970 in der Marktstraße, da war ein Lokal, da bin ich reingegangen zum Fußballgucken. 1970 hat Italia-Deutschland gespielt, dieses historische Spiel. Am Schluss des Spiels, wo Italia gewonnen hat, hat einer einen Stuhl über mich geschmissen, ein Deutscher, nur weil ich
Italiener bin. Natürlich, ich war 20 Jahre alt, ich habe nicht zweimal nachgedacht, habe ich den Stuhl wieder zurückgeschlagen. Drei Tage später, da war das Finale, bin ich wieder hingegangen und er hat mir ein Bier bezahlt, seitdem sind wir befreundet.“
Eltern: „Meine Mutter hat immer geweint, ich habe immer gesagt, Mama, ich komm wieder, ich sterbe nicht, ich komm wieder, und dann, wo ich das gesagt hab, oft gesagt, hat sie nicht mehr geweint. Aber das war alles innen drin, das war noch schlimmer als weinen. Der Sohn, der einzige Sohn geht, das war schon schwer für sie.“
Rückkehr: „Urlaub schon, ja, aber zurückgehen...Nach drei Tagen da unten, wenn ich alle gesehen habe, da bin ich wieder alleine. Okay, ich geh auf die Straße, ich kann meine Sprache, ich kann mich da unterhalten, aber die Leute, da ist kein Kontakt mehr. Da bin ich auch Ausländer da unten, bei mir daheim. Bin zweimal Ausländer, einmal hier, einmal unten.“