Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nur wer bezahlte, durfte die Ravensburger Tore passieren
„Torsperrgeld“und „Pflastergeld“waren Zankapfel zwischen der Stadt Ravensburg und dem Staat
RAVENSBURG - Wer in die Ravensburger Innenstadt möchte, muss bis heute meist durch eines der zahlreichen Tore der historischen Altstadt. Können heute Menschen, Tiere und Autos unbehelligt zu jeder Tagesund Nachtzeit in die Stadt hinein, war das für Menschen, Pferde, Ochsen und Esel im Mittelalter längst nicht so einfach und vor allem nicht kostenlos. Bereits im Jahre 1373 war die Reichsstadt Ravensburg von Kaiser Karl IV. ausdrücklich zur Zollerhebung berechtigt worden. Noch in den Jahren 1750 und 1797 wurden in diesem Zusammenhang die kommunalen Tarife für Vieh, Wein, Getreide, Obst, Salz, Tabak, Stroh, Holz, Baumaterial, Eisen und andere Waren im Detail neu geregelt.
Die kommunalen Zollbeamten waren dem von der kaiserlichen Kommission 1719 eingerichteten Rentamt als der zentralen Stadtkasse unterstellt; sie hatten die ein- und ausgeführten Waren zu kontrollieren, den entsprechenden Zoll zu erheben und darüber Buch zu führen. Nach dem Ende der reichsstädtischen Zeit, das heißt nach der Angliederung Ravensburgs an Bayern im Jahre 1802 und schließlich 1810 an Württemberg, wurde die Erhebung dieser Zölle an die Außengrenzen dieser stark vergrößerten süddeutschen Staaten verlagert; zahlreiche Binnenzölle fielen nun weg.
Der zwischen der Stadt Ravensburg und dem württembergischen Staat 1821 abgeschlossene zentrale Vertrag zum „Schuldenausgleich“beließ ihr jedoch als finanzielle Entschädigung wie gefordert zwei traditionsreiche, an den vier Stadttoren erhobene kommunale Abgaben beziehungsweise Gebühren: das Torsperrgeld und das Pflastergeld. Beide zusammen stellten einen nicht unbedeutenden Einnahmeposten im kommunalen Haushalt dar. Um deren weitere Beibehaltung lieferte sich die Stadt in den folgenden Jahrzehnten einen zähen und fintenreichen Kampf mit den staatlichen Behörden.
Das Torsperrgeld hatten jene zu entrichten, die nachts, wenn die Stadttore bereits geschlossen waren, ein- oder ausreisen wollten und der Torwärter eigens für sie öffnen musste; nicht zuletzt auch aus sicherheitspolizeilichen Erwägungen sprachen sich die Stadtväter für die weitere Beibehaltung der nächtlichen Torsperre aus. Das vom finanziellen Ertrag her bedeutendere Pflastergeld floss zweckgebunden in den Unterhalt der – allerdings nur an manchen Stellen gepflasterten – innerstädtischen Straßen, Gassen und Plätze. Für „Menschen, Pferde, Ochsen, Esel“betrug das Torsperrgeld damals für das Öffnen nach zehn Uhr abends von November bis April jeweils einen Kreuzer, für das Öffnen nach elf Uhr abends von April bis November jeweils zwei Kreuzer. Beim Pflastergeld galt je nach Warenladung und Zahl der vorgespannten Pferde oder Ochsen eine Vielzahl von Tarifen.
Bereits 1824 geriet die Stadt jedoch unter Druck, als das Finanzministerium dem Gemeinderat „viele Beschwerden von Frachtfahrern und Spediteuren“über die Höhe des Pflaster- und Torsperrgeldes übermittelte. Oberamtmann Franz Theodor Wirth, damals der wichtigste Repräsentant des Staates vor Ort, ermahnte die Stadt, „alle Erleichterungen in dieser Sache eintreten zu lassen, welche zugunsten des Transits nur immer geschehen und die mit dem Haushalt der Stadt vereinbart werden können“. Als in einem Regierungsdekret schließlich ultimativ eine Reduzierung der beiden im Vergleich mit anderen Städten zu hoch angesehenen Tarife gefordert wurde, ermäßigte der Gemeinderat zähneknirschend das Pflastergeld etwas und verschob die Torsperre um eine Stunde nach hinten.
Die Aufhebung des Torsperrgeldes
Doch schon 1830 forderte die Regierung erneut eine weitere Herabsetzung des Pflastergeldes und die gänzliche Aufhebung des Torsperrgeldes. Schließlich führten die vertragsmäßigen Bestimmungen des am 1. Januar 1834 ins Leben getretenen Deutschen Zollvereins, dem von Beginn an auch das Königreich Württemberg angehörte, zur Aufhebung des Torsperrgeldes.
Nach einigem Widerstand musste die Stadt schließlich die Erhebung dieser Gebühr zum Jahresbeginn 1837 einstellen; das Finanzministerium gewährte im Gegenzug eine einmalige Entschädigung in Höhe von 4200 Gulden. Was das Pflastergeld anbetraf, so waren seit 1825 „alle hiesigen Einwohner, außer diejenigen, welche fremdes Gut fuhren“, von der Zahlung befreit. Seitdem die Eisenbahnstrecke zwischen Ulm und Friedrichshafen 1850 durchgehend befahren werden konnte, war ein merklicher Rückgang des Nord-SüdGüterverkehrs durch die Innenstadt und damit auch der Einnahmen durch das Pflastergeld am Frauenund am früheren Kästlinstor festzustellen. Im Jahre 1853 zeigte sich der Gemeinderat erstmals zur Abschaffung des Pflastergelds bereit; zentrale Voraussetzung allerdings: eine „angemessene Entschädigung“durch den Staat.
Und es traten neue Probleme auf: Die Torwärter beklagten sich, dass manche Fuhrleute mittlerweile eine Fahrt durch die Stadt umgingen, indem sie über die Raueneggstraße oder die Georgstraße auswichen. Nach langem Streit mit der staatlichen Eisenbahnverwaltung verlangte Ravensburg seit 1864 kein Pflastergeld mehr für Fuhren vom Bahnhof in die Innenstadt. Dennoch überstiegen die aus dieser Abgabe resultierenden Einnahmen noch immer um einiges den Aufwand für die Instandhaltung der innerstädtischen Straßen. Erst im Jahre 1877 kam nach intensiven Verhandlungen schließlich auch das Ende für das hiesige Pflastergeld.
Nun bezeichnete auch der Gemeinderat diese Abgabe als eine „Belästigung des Verkehrs“und „überhaupt nicht mehr in unsere Zeit passend“. Zudem könnten weitere Straßenzufahrten geschaffen werden, was bis dahin durch die Notwendigkeit, dann auch weitere Kontroll- und Zahlstellen einrichten zu müssen, unterlassen worden war. Nach der Abschaffung des Pflastergelds floss der Verkehr ungehindert in die Stadt, die historischen Tore verloren ihre letzte Funktion. Die Torwärter- und Zollhäuser vor dem Frauen- und Untertor wurden 1878 beziehungsweise 1904 abgebrochen, während jene vor dem Obertor und am einstigen Kästlinstor im Kern bis heute erhalten blieben.