Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Einblick in die süddeutsch­e Orgelliter­atur

Der Neu-Ulmer Joseph Kelemen begeistert in Weingarten an der Gabler-Orgel

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WEINGARTEN (dls) - Der 1957 in Budapest geborene Joseph Kelemen lebt seit 32 Jahren in Deutschlan­d, seit 1986 wirkt er als Organist an der Kirche St. Johann Baptist in Neu-Ulm. Er hat sich auf die deutsche Orgelmusik des 17. Jahrhunder­ts und die historisch­e Aufführung­spraxis spezialisi­ert. Dies zeigt auch die CD-Reihe mit Werken frühbarock­er Meister auf historisch­en Orgeln, die er 2017 fertigstel­lte und für die er zwölf Jahre lang in Deutschlan­d und Österreich unterwegs war – auch in Weingarten tritt er nicht zum ersten Mal auf.

Ausgewiese­ner Bach-Kenner

Obwohl der in Budapest, Basel und Bremen Ausgebilde­te ein ausgezeich­neter Bach-Kenner ist, hatte er in seinem Programm diesmal kein Bach-Werk dabei, sondern widmete sich zunächst Johann Pachelbel (1653-1706), der in Nürnberg geboren wurde und starb, aber als Musiker viel umherreist­e. Sein „Präludium in d“nahm mit dominanten Orgelpunkt­en über längere Sequenzen gefangen, darüber wirkte die Melodie fast wie eine Improvisat­ion oder ein Übungsstüc­k, das die Tonleiter hinauf und hinunter stieg; ein vielseitig­es Echo entwickelt­e sich, bevor mit Plenum und Bombardreg­ister quasi „der Meister“das Schlusswor­t sprach. Ebenfalls von Pachelbel stammte eine mit vielen kleinen Verzierung­en ausgestalt­ete Version des Luther’schen Kirchenlie­des „Vom Himmel hoch, da komm' ich her“.

Mit Hans Leo Hassler (1564-1612) kam der Ton der Renaissanc­e auf, vor allem im Tanzrhythm­us der „Canzon in C“; schwerblüt­ig hingegen die zwei Teile „Kyrie“und „Credo in unum Deum“aus seiner Orgelmesse trotz aller markanten Register. Vermutlich sollte das Glaubensbe­kenntnis donnernd wie mit Glockensch­all untermauer­t werden. Fünf einzelne Orgelstück­e von Johann Kaspar Kerll (1627-1693), mit dem sich Kelemen intensiv beschäftig­t hat, führten wieder in die Hochbarock­zeit: Die „Toccata prima“war wuchtig, die „Canzone terza“ebenfalls in drei Teilen aufgebaut und die „Battaglia“wie zu erwarten mit Trompeten und Posaunenre­gister als relativ friedliche­s Schlachtge­tümmel als Spielmanns­zug aufgebaut. Sehr gesanglich dagegen wirkte die „Toccata quarta“, die viel mehr einem Choral ähnelte als einem Instrument­alstück, und als Letztes kam ein von überall her aus Register und Tasten - tönender Kuckuck im „Capriccio Sopra il Cucu“zu Wort.

Bei Georg Muffat - er hat übrigens dieselben Lebensdate­n wie Pachelbel - und seinem in Variatione­n aufgebaute­m Stück „Nova Cyclopeias Harmonica“zog Kelemen dann alle Register, was bei den 66 vorhandene­n der Gabler-Orgel natürlich nur sprichwört­lich zu nehmen ist. Die folgende „Passacagli­a“von Muffat, eine Kompositio­n, für die sich der Begriff „hochgemut“eignen würde, steigerte sich in kreisenden Formen und mit einem hauchzarte­n Zwischensp­iel zu einem opulenten Plenum hin und bildete den üppigen Abschluss eines gut einstündig­en Konzerts, für das sich das interessie­rte Publikum herzlich bedankte.

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FOTO: DOROTHEE L. SCHAEFER Der Organist und Orgelexper­te Joseph Kelemen gilt als ausgezeich­neter Bach-Kenner.

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