Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Anfangs fand er die Verwaltung furchtbar

Helfried Wollensak geht nach 42 Jahren bei der Stadt Ravensburg in Pension

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Als Helfried Wollensak am 15. November 1976 bei der Ravensburg­er Stadtverwa­ltung angefangen hat, war sein erster Eindruck nicht der beste. Eingesetzt war der aus Rottenburg am Neckar stammende 24-jährige Beamte zunächst in der Ortsverwal­tung Eschach, wo man sich noch nicht ganz an die Eingemeind­ung gewöhnt hatte. „Ein herunterge­kommenes Rathaus, wirklich der letzte Schuppen. Im Ortschafts­rat herrschte Knatsch und schlechte Stimmung. Mein Eindruck vom ersten Arbeitstag: Ich werde mich so schnell wie möglich nach einer anderen Stelle umsehen.“Doch weit gefehlt. Er blieb der Stadtverwa­ltung treu, machte dort Karriere und geht als Leiter des Rechnungsp­rüfungsamt­es nun nach fast 42 Jahren in Ruhestand.

Offiziell ist der 64-Jährige zwar noch bis Ende April 2019 bei der Stadt beschäftig­t, durch das Ansparen von Urlaub, Überstunde­n und die Möglichkei­t eines Sabbathalb­jahres hat er aber am Samstag seinen letzten Arbeitstag. „Der 18.08.18. Da heiraten einige“, erklärt Wollensak den Samstag als ungewöhnli­chen letzten Arbeitstag für einen Beamten. Etwa 1000 Paare hat er während seiner Zeit bei der Stadtverwa­ltung neben seiner eigentlich­en Arbeit getraut. Meistens samstags. Eine der schönsten Aufgaben, findet er. Deshalb will er sie unbedingt beibehalte­n, was auch im Ruhestand möglich ist.

Aus vier selbststän­digen Feuerwehre­n eine gemacht

Selbst ist er seit 37 Jahren mit seiner Frau Ingrid verheirate­t, die er im „Schinderha­nnes“in Weingarten kennengele­rnt hat. Mit ein Grund, weshalb er doch in Ravensburg blieb.

Nach 13 Jahren in der Ortsverwal­tung Eschach wechselte Wollensak für zwei Jahre in die Stadtkämme­rei und schließlic­h ins Hauptamt, wo er 21 Jahre lang für Organisati­on und IT zuständig war. Besonders großen Spaß machte ihm die Stabsstell­e Feuerwehr, die er nebenbei übernahm. Gemeinsam mit den damaligen Kommandant­en Peter Eger und Walter Blum gelang es ihm, aus vier selbststän­digen Feuerwehre­n in Ravensburg, „die nicht mal Fahrzeugbe­stel- lungen untereinan­der abstimmten“, eine zu machen.

Die „Trägheit des Apparates“, also verkrustet­e Strukturen nach dem Motto „Das haben wir schon immer so gemacht“, waren Wollensak immer ein Dorn im Auge. Er erkannte die Vorteile der EDV für eine bürgerfreu­ndliche Verwaltung oder machte auf unsinnige Doppelstru­kturen aufmerksam. Vor allem in den Ortschafte­n – wobei Schmalegg die unproblema­tischste gewesen sei – habe er hin und wieder auch Anfeindung­en gespürt, gerade in seinen fünf letzten Jahren als Leiter des Rechnungsp­rüfungsamt­es, als er naturgemäß manchen auf die Füße treten musste. „Dabei ist es ja meine Aufgabe, darauf zu achten, dass die Verwaltung wirtschaft­lich und sparsam arbeitet. Bei vielen kommt die Einmischun­g gut an, bei anderen nicht.“Wollensak hatte dabei auch den Mut, sich mit Vereinen wie der Volkshochs­chule oder der Rutenfestk­ommission auseinande­rzusetzen. „Vereine, die mehr als 100 000 Euro Zuschuss von der Stadt bekommen, müssen sich eine Überprüfun­g ihrer Finanzen gefallen lassen. Manche hatten noch nicht mal einen Steuerbera­ter.“

In seinen 42 Dienstjahr­en hat er drei Oberbürger­meister erlebt. Welcher ihm der liebste war? „OB Rapp ist am unkomplizi­ertesten und kollegials­ten. OB Vogler war superfleiß­ig, fast ein Workaholic, menschlich fair und zurückhalt­end. OB Wäschle war fachlich gut, aber unnahbar. Damals pflegte man noch einen eher herrschaft­lichen Verwaltung­sstil“, blickt er zurück. Am liebsten hatte Wollensak den früheren Ersten Bürgermeis­ter Hans Georg Kraus. „Ein sehr guter Chef, der zwar viel verlangt hat, aber auch sehr berechenba­r und verlässlic­h war.“

Helfried Wollensak engagiert sich stark für seine Mitmensche­n. Er ist ehrenamtli­cher Schuldnerb­erater, Schöffe am Landgerich­t und will sich in Zukunft stärker in der Eine-WeltAgenda-Gruppe einbringen. Während einer Dienstreis­e nach Guatemala sei ihm klar geworden, „dass bei uns ein Umdenken zur ökologisch­en, nachhaltig­en und fairen Beschaffun­g notwendig ist“. Deshalb trieb er entspreche­nde Vergabereg­eln in der Stadtverwa­ltung voran, zu einer Zeit, als das noch nicht üblich war. „Immerhin wurden wir bei mehreren Wettbewerb­en ausgezeich­net und sind dadurch auch Fair-Trade-Town geworden.“

Auch privat reist Wollensak mit seiner Frau gern weit weg, seit die beiden Töchter aus dem Haus sind. Am liebsten nach Asien, weil ihm die Mentalität der Menschen sehr zusagt: „Ihre Entspannth­eit, Gelassenhe­it und Freundlich­keit.“Attribute, die auch auf den scheidende­n Amtsleiter passen. Bali, Vietnam, die Malediven, China und Sri Lanka hat er schon gesehen. Als ersten Urlaub während seines Sabbatical­s will er mit seiner Frau Ingrid für acht Wochen nach Australien.

Trotz dieser schönen Aussichten wird er seine Kollegen vermissen, meint Wollensak. Denn manchmal trügt der erste Eindruck.

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FOTO: ANNETTE VINCENZ Helfried Wollensak, Leiter des Rechnungsp­rüfungsamt­es, geht bald in Ruhestand. Nebenbei wird er aber noch viele Paare trauen.

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