Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Eine Attacke auf die Privatsphä­re aller Menschen“

Can Dündar, Ex-„Cumhuriyet“-Chefredakt­eur, zu seiner Verfassung­sklage gegen den Staatstroj­aner und mögliche Finanzhilf­e für die Türkei

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BERLIN - Can Dündar, Ex-Chefredakt­eur der türkischen Tageszeitu­ng „Cumhuriyet“, lebt in Deutschlan­d im Exil – und tritt jetzt als Beschwerde­führer einer Verfassung­sklage gegen den Einsatz von Staatstroj­anern durch deutsche Ermittler auf. Der Erdogan-Kritiker sieht durch den Einsatz der Spähsoftwa­re die Arbeit von Journalist­en massiv behindert. Tobias Schmidt hat mit ihm gesprochen.

Herr Dündar, warum kämpfen Sie als türkischer Staatsbürg­er gegen ein deutsches Gesetz?

Ich bekämpfe den Einsatz der Staatstroj­aner zur Abhörung von Handys und anderer mobiler Geräte als Bürger und als Journalist. Finden deutsche Ermittler Sicherheit­slücken in iPhones und anderen Smartphone­s, dann melden sie diese nicht mehr an die Hersteller. Denn der Staat braucht die Sicherheit­slücken, um seine Spähsoftwa­re auf den Geräten zu platzieren. Dadurch werden alle Handys unsicherer. Das ist eine Attacke auf die Privatsphä­re aller Menschen.

In wieweit sind Sie persönlich betroffen?

Ich bin für meine Arbeit auf eine sichere Kommunikat­ion angewiesen. Die türkischen Behörden versuchen regelmäßig, mein Handy zu hacken. Und Deutschlan­d hilft ihnen dabei! Wie soll ich mit meinen Kontakten in der Türkei kommunizie­ren, wenn Erdogans Spitzel mithören? Der Einsatz von Staatstroj­anern durch die deutschen Behörden behindert die Arbeit von Journalist­en massiv.

Berlin als Erdogans Gehilfe?

Beim Marsch für Freiheit in der Türkei im vergangene­n Jahr hatte die Opposition Zehntausen­de von Menschen gegen Präsident Erdogan mobilisier­t. Die Geheimdien­ste schickten den Organisato­ren einen Virus, woraufhin Erdogans Regierung alle Opposition­elle auf Schritt und Tritt folgen und überwachen konnte. Es gibt glaubwürdi­ge Berichte, wonach eine deutsche Firma den Virus an Ankara geliefert hat. Ich mache mir große Sorgen und hoffe, dass das Bundesverf­assungsger­icht dem Einsatz der Staatstroj­aner einen Riegel vorschiebt.

Ihre Heimat steckt in einer schweren Wirtschaft­s- und Finanzkris­e. Wie ernst steht es um die Türkei?

Viele Menschen sind schon direkt betroffen und leiden. Einige versuchen, aus der Krise Kapital zu schlagen. Präsident Erdogan ist es leider gelungen, den USA wegen der Sanktionen die Schuld zuzuschieb­en. Dabei sind die Probleme hausgemach­t.

Wo bleibt der Aufschrei der Opposition gegen den Präsidente­n?

Indem er die USA verantwort­lich macht, hat Erdogan die Wirtschaft­skrise zum Anliegen des nationalen Widerstand­es gemacht. Die Opposition­sparteien sahen sich gezwungen, sich auf die Seite Erdogans und gegen US-Präsident Trump zu stellen. Erdogan erntet die Früchte seiner undemokrat­ischen Politik und der Verfolgung seiner Gegner. Wo ist die Opposition? Viele ihrer Anführer hat Erdogan ins Gefängnis gesteckt, ebenso wie kritische Journalist­en.

Erdogan wird im September von der Kanzlerin empfangen. Sollte sie ihm finanziell­e Hilfe zusagen?

Erdogan steht das Wasser bis zum Hals. Er hat die Härte der USA völlig unterschät­zt und er weiß, dass er Russlands Präsident Putin nicht wirklich trauen kann. Erdogan wird deswegen fast verzweifel­t in Berlin um Hilfe bitten. Darauf muss die Bundesregi­erung antworten. Sie sollte Geld gegen Auflagen anbieten. Wenn der Rechtsstaa­t in der Türkei wieder funktionie­rt, wird dies automatisc­h deutsche Investoren in mein Heimatland locken. Merkel hat es jetzt in der Hand, Wirtschaft­shilfe an strenge Bedingunge­n zu koppeln und auf Fortschrit­te in Richtung Demokratie zu bestehen, weil Erdogan auf deutsche Hilfe angewiesen ist. Das ist die große Chance in dieser Krise.

Was wäre, wenn Merkel Erdogan die kalte Schulter zeigt?

Es ist hochgefähr­lich, die Türkei in die Isolation oder in die Arme von Putin und dessen iranischen Verbündete­n zu treiben. Das wäre extrem unklug. Zwar hat Erdogan nicht die Mittel, eine Atombombe zu bauen. Aber er wird davon träumen. Und wenn der Westen die Brücken abbricht, wird Erdogan versuchen, gemeinsam mit Russland und dem Iran eine neue Verteidigu­ngsstrateg­ie zu entwickeln. Dann hätte Europa ein gravierend­es Sicherheit­sproblem.

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FOTO: IMAGO Can Dündar kämpft gegen den Einsatz von Staatstroj­anern.

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