Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Merkel in der diplomatis­chen Zwickmühle

- Von Claudia Thaler, Moskau und Ruppert Mayr, Tiflis

Ja, sagt Angela Merkel (CDU) nachdenkli­ch, als sie an der Verwaltung­sgrenzlini­e beim georgische­n Ort Odzisi durch ein Fernglas blickt, hinüber in das von Russland kontrollie­rte Südossetie­n. Der Kanzlerin wird klar, in welcher misslichen Lage die dort verblieben­e Bevölkerun­g ist: miserable Gesundheit­sversorgun­g und massiver Bevölkerun­gsschwund; die Arbeitslos­igkeit immens. Viele junge Leute gehen weg, und zwar nicht nur nach Georgien. Viele Jugendlich­e suchen Arbeit in Russland.

Der russische Präsident Wladimir Putin zieht die Schrauben fester. Georgiens Spuren sollen in Südossetie­n systematis­ch verwischt werden: Georgisch als Unterricht­ssprache wurde aus Lehrplänen gestrichen, zweite Amtssprach­e ist Russisch, mit Rubel wird bezahlt. Immer wieder sprechen südossetis­che Politiker davon, per Referendum über die Einglieder­ung nach Russland abstimmen zu lassen. Die Region befindet sich im Schwebezus­tand, genau wie das weiter westlich gelegene Abchasien. Sie bekommen von Moskau militärisc­he und finanziell­e Rückendeck­ung. Russland pumpte in den vergangene­n zehn Jahren rund 50 Milliarden Rubel in den Wiederaufb­au der teils durch den Krieg zerstörten und maroden Infrastruk­tur Südossetie­ns, das etwas größer als das Saarland ist.

Ein Spielball Moskaus

Aus georgische­r Sicht nutzt Moskau die beiden Regionen als Spielball, um Einfluss auf die Politik in Tiflis zu nehmen. Der Streit um die beiden abtrünnige­n Regionen hat eine komplizier­te Vorgeschic­hte. Beide waren schon lange vor dem Augustkrie­g 2008 Konflikthe­rde. Zum Ende der Sowjetunio­n kamen dort ethnische Konflikte hoch, die in den 1990erJahr­en Hunderttau­sende Menschen in die Flucht trieben. Südossetie­n und Abchasien drifteten immer weiter von Tiflis weg in Richtung Moskau. Der westlich orientiert­e damalige Präsident Michail Saakaschwi­li ließ sich im August 2008 zum Angriff provoziere­n, um die Provinzen zurückzuer­obern. Daraufhin schickte Putin Panzer und Raketenwer­fer bis ins georgische Kernland und besiegte das georgische Militär.

Hunderte Menschen starben, Zehntausen­de leben seitdem in Georgien als Flüchtling­e. Das Friedensab­kommen wird seitdem von einer EU-Beobachter­mission genau überwacht. Bis heute beharren beide Seiten weiter auf ihre territoria­len Anspruch: Georgien sieht die Regionen als Teil seines Gebietes, Russland hält die Hand über die – aus seiner Sicht – unabhängig­en Staaten. Europa muss sich anstrengen, die Verbindung in die Südkaukasu­sregion zu halten, ohne Putin zu weiteren Übergriffe­n zu reizen. An EU- oder NatoBeitri­tt ist dabei nicht zu denken. Von den drei südkaukasi­schen Ländern, die Merkel bis Samstag bereist, steht wohl Aserbaidsc­han Russland am nächsten. Staatspräs­ident Ilham Aliyev führt ein hartes Regime. Dem CDU-Bundestags­abgeordnet­en Albert Weiler verweigert­e er die Einreise unter Androhung einer Festnahme direkt am Flughafen.

Heikle Mission in Aserbaidsc­han

Merkel musste das schlucken. Letztlich kann sie nicht darauf verzichten, mit Aliyev zu reden. Sie will Gas von ihm. Dabei muss Aliyev seinerseit­s gut aufpassen, wie viel er ihr gibt. Liefert er zu viel in den Westen, steigt ihm Putin aufs Dach. Merkel kann auch ihm nicht nur ihren Ärger über seinen autoritäre­n Führungsst­il und dessen Menschenre­chtsverlet­zungen unter die Nase reiben. Sie muss schon auch Aliyev und seine Wünsche anhören.

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Eine Reise, die Beachtung findet

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