Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Merkel in der diplomatischen Zwickmühle
Ja, sagt Angela Merkel (CDU) nachdenklich, als sie an der Verwaltungsgrenzlinie beim georgischen Ort Odzisi durch ein Fernglas blickt, hinüber in das von Russland kontrollierte Südossetien. Der Kanzlerin wird klar, in welcher misslichen Lage die dort verbliebene Bevölkerung ist: miserable Gesundheitsversorgung und massiver Bevölkerungsschwund; die Arbeitslosigkeit immens. Viele junge Leute gehen weg, und zwar nicht nur nach Georgien. Viele Jugendliche suchen Arbeit in Russland.
Der russische Präsident Wladimir Putin zieht die Schrauben fester. Georgiens Spuren sollen in Südossetien systematisch verwischt werden: Georgisch als Unterrichtssprache wurde aus Lehrplänen gestrichen, zweite Amtssprache ist Russisch, mit Rubel wird bezahlt. Immer wieder sprechen südossetische Politiker davon, per Referendum über die Eingliederung nach Russland abstimmen zu lassen. Die Region befindet sich im Schwebezustand, genau wie das weiter westlich gelegene Abchasien. Sie bekommen von Moskau militärische und finanzielle Rückendeckung. Russland pumpte in den vergangenen zehn Jahren rund 50 Milliarden Rubel in den Wiederaufbau der teils durch den Krieg zerstörten und maroden Infrastruktur Südossetiens, das etwas größer als das Saarland ist.
Ein Spielball Moskaus
Aus georgischer Sicht nutzt Moskau die beiden Regionen als Spielball, um Einfluss auf die Politik in Tiflis zu nehmen. Der Streit um die beiden abtrünnigen Regionen hat eine komplizierte Vorgeschichte. Beide waren schon lange vor dem Augustkrieg 2008 Konfliktherde. Zum Ende der Sowjetunion kamen dort ethnische Konflikte hoch, die in den 1990erJahren Hunderttausende Menschen in die Flucht trieben. Südossetien und Abchasien drifteten immer weiter von Tiflis weg in Richtung Moskau. Der westlich orientierte damalige Präsident Michail Saakaschwili ließ sich im August 2008 zum Angriff provozieren, um die Provinzen zurückzuerobern. Daraufhin schickte Putin Panzer und Raketenwerfer bis ins georgische Kernland und besiegte das georgische Militär.
Hunderte Menschen starben, Zehntausende leben seitdem in Georgien als Flüchtlinge. Das Friedensabkommen wird seitdem von einer EU-Beobachtermission genau überwacht. Bis heute beharren beide Seiten weiter auf ihre territorialen Anspruch: Georgien sieht die Regionen als Teil seines Gebietes, Russland hält die Hand über die – aus seiner Sicht – unabhängigen Staaten. Europa muss sich anstrengen, die Verbindung in die Südkaukasusregion zu halten, ohne Putin zu weiteren Übergriffen zu reizen. An EU- oder NatoBeitritt ist dabei nicht zu denken. Von den drei südkaukasischen Ländern, die Merkel bis Samstag bereist, steht wohl Aserbaidschan Russland am nächsten. Staatspräsident Ilham Aliyev führt ein hartes Regime. Dem CDU-Bundestagsabgeordneten Albert Weiler verweigerte er die Einreise unter Androhung einer Festnahme direkt am Flughafen.
Heikle Mission in Aserbaidschan
Merkel musste das schlucken. Letztlich kann sie nicht darauf verzichten, mit Aliyev zu reden. Sie will Gas von ihm. Dabei muss Aliyev seinerseits gut aufpassen, wie viel er ihr gibt. Liefert er zu viel in den Westen, steigt ihm Putin aufs Dach. Merkel kann auch ihm nicht nur ihren Ärger über seinen autoritären Führungsstil und dessen Menschenrechtsverletzungen unter die Nase reiben. Sie muss schon auch Aliyev und seine Wünsche anhören.