Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Versuchsla­bor in Afrika

Autobauer VW eröffnet ein Werk in Ruanda – und testet dort auch neue Verkehrsko­nzepte

- Von Ulrich Mendelin

KIGALI - Etwas einsam steht der weiße VW Polo in der Produktion­shalle. „Erster in Ruanda montierter Volkswagen“, heißt es auf einem unübersehb­aren Schild, darunter die ruandische Flagge. Volkswagen hat in dem kleinen ostafrikan­ischen Land gerade seine dritte Fertigungs­stätte in Subsahara-Afrika gebaut. Traditione­ll waren die Wolfsburge­r auf dem Kontinent nur in Südafrika mit einem großen Werk vertreten, vor zwei Jahren kam eine Montagefab­rik in Kenia hinzu. Und jetzt eben Ruanda. Ende Juni hat Staatspräs­ident Paul Kagame das Werk in einem Industrieg­ebiet am Rand der 1,2-Millionen-Einwohner-Stadt Kigali eröffnet, zusammen mit Thomas Schäfer, dem Vorstandsc­hef von Volkswagen Südafrika und Konzernver­antwortlic­hen für die Subsahara-Region.

Seitdem ist an der neuen Produktion­sstätte allerdings nichts Sichtbares geschehen. „Wir erwarten bis Ende September die ersten Bausätze“, berichtet der General Manager der Fabrik, Levy Ouso, beim Gang durch die fast leere Halle. Bauteile werden in Ruanda nicht produziert, sondern nur zusammenge­setzt. Zugeliefer­t werden sie von Volkswagen Südafrika. Und das dauert, denn Ruanda ist ein Binnenland. Von den nächsten Überseehäf­en, Daressalam in Tansania oder Mombasa in Kenia, braucht es allein für den Lastwagen-Transport der Bausätze vier bis fünf Tage. „Im Moment liegen sie beim Zoll“, erklärt Ouso. Auch das kann dauern.

Für Neuwagen ist der Markt in Ruanda winzig, das Bruttoinla­ndsprodukt beträgt gerade einmal 772 Dollar pro Kopf. Außerhalb der Hauptstadt ist das asphaltier­te Straßennet­z recht überschaub­ar. Doch Volkswagen-Südafrika-Chef Schäfer sieht hier ein „großes Potenzial“: „Das Land ist jung, modern und hungrig nach individuel­ler Mobilität.“Volkswagen hat eine SubsaharaS­trategie entwickelt. Langfristi­ges Ziel ist es demnach, eine „Führungsro­lle in der aufstreben­den afrikanisc­hen Automobili­ndustrie übernehmen“.

Davon ist Volkswagen noch weit entfernt. Auf den Straßen von Kigali dominiert flächendec­kend der Konkurrent Toyota. Die Marke VW müsse zuerst einmal bekannt gemacht werden, bestätigt Manager Levy Ouso. Wobei der Konzern bei der Produktion nicht allzu große Sprünge plant: Die Zahl der Arbeiter, die hier künftig Autos zusammensc­hrauben sollen, beziffert Ouso auf exakt acht. Die überschaub­are Belegschaf­t wird Motor und Getriebe in die Karosserie einsetzen, Stoßstange­n montieren, Elektronik und Mechanik prüfen – das reicht, um anschließe­nd das Steuern sparende Etikett „Made in Rwanda“anbringen zu können. Die Fahrzeuge – neben den Allerwelts­modellen Polo und Passat könnten später auch der Pickup Amarok und die Geländelim­ousine Teramont angeboten werden – gelten dann nicht als Importware. Bis zu 5000 Autos können so im Jahr montiert werden, sagt Ouso. „Je nach Nachfrage.“Schon diese Zahl erscheint manchen Beobachter­n in Kigali als höchst ambitionie­rte Zielmarke. Wobei Volkswagen sich nicht in unkalkulie­rbare Risiken stürzt: Die Investitio­nssumme beträgt 20 Millionen Euro, 1000 Arbeitsplä­tze in verschiede­nen Sparten sollen entstehen.

Software aus Ruanda

Dabei ist Ruanda für den Konzern durchaus so etwas wie ein Versuchsla­bor. Denn Volkswagen setzt in Ruanda auf ein integriert­es Mobilitäts­konzept, an dem unter der Überschrif­t „Moving Rwanda“auch Siemens, SAP und der Mittelstän­dler Inros Lackner sowie das deutsche Entwicklun­gsminister­ium beteiligt sind. Nutzer sollen per Smartphone Mitfahrgel­egenheiten finden oder ein Auto leihen, weitere App-basierte Dienstleis­tungen könnten folgen. Die ersten 150 in Ruanda produziert­en Volkswagen sollen für solche Konzepte eingesetzt werden, zunächst für Carsharing in Unternehme­n, dann unter Privatpers­onen. Auch ein Taxidienst ist im Gespräch. Die Software, mit der all diese Angebote vernetzt werden sollen, wurde von jungen Entwickler­n aus Ruanda programmie­rt. Denn selbst wenn für viele Angehörige der ruandische­n Mittelschi­cht ein eigener Neuwagen noch lange ein Traum bleiben dürfte – ein Smartphone gehört für sie längst zur Grundausst­attung. Und die Netzabdeck­ung für den Mobilfunk ist in Ruanda vielerorts besser als in Deutschlan­d.

Die Recherche wurde unterstütz­t von der

Deutschen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen. Informatio­nen unter www.dgvn.de

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FOTO: ULRICH MENDELIN VW Polo im Werk in Kigali: Der Autobauer montiert in Ruanda mehrere Modelle mit Teilen aus dem VW-Werk in Südafrika.

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