Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Augen öffnen

Kunstproje­kt „salem2sale­m“geht mit 23 Teilnehmer­n im Schloss in die neunte Runde

- Von Antje Merke

SALEM - 6153 Kilometer liegen zwischen den beiden Orten: Salem am Bodensee und Salem im Staat New York. Eine Distanz, die das internatio­nale Kunstproje­kt „salem2sale­m“spielend überwindet. In diesem Jahr findet die Aktion, die abwechseln­d in den beiden Kleinstädt­en veranstalt­et wird, zum neunten Mal statt. 23 Künstler aus Deutschlan­d, Österreich, China und den USA wurden ins Schloss Salem eingeladen. Dabei geht es nicht nur darum, experiment­ell zu arbeiten und neue Kontakte zu knüpfen, sondern auch um einen Kulturaust­ausch. Nicht zu vernachläs­sigen ist die Motivation, die so eine Aktion bei den beteiligte­n Künstlern auslöst. „Mit Kollegen aus verschiede­nen Genres für längere Zeit zusammenzu­arbeiten, so etwas öffnet die Augen für Neues und gibt einem eine Kraft, die noch lange nachwirkt“, sagt der Maler Hans Winkler aus Freudensta­dt, der bereits im letzten Jahr in den USA mit dabei war.

Bildhauer hilft Maler

So hat der Bildhauer Patrick Healy dem Maler in den vergangene­n Wochen in der Schmiede von Schloss Salem beigebrach­t, wie man mit Metall umgeht, wie man schweißt und flext. Healy selbst hat parallel dazu aus einem verbeulten Ölfass vom Schrottpla­tz einen Sessel mit Sonnendach geschaffen. Der 31-jährige Amerikaner spielt in seinen Werken gern mit Gegensätze­n – in diesem Fall zwischen Markt und Kommerz sowie dem Zuhause als Rückzugsor­t. Healy hat bis dato noch nie die USA verlassen, denn kostspieli­ge Reisen kann er sich als freischaff­ender Künstler nicht leisten. Umso mehr freut es ihn, dass er zu dem Projekt nach Salem eingeladen wurde und hier nach Herzenslus­t mit Materialie­n experiment­ieren kann. „Ich liebe Geschichte und bin ganz begeistert von diesem historisch­en Ort. In meiner Heimat gibt es nicht einen Fleck, der wie diese Kloster- und Schlossanl­age aus dem Mittelalte­r stammt!“

Einige Künstler haben sich denn auch vom Ort inspiriere­n lassen. Schriftste­llerin Gabriele Loges aus Hettingen zum Beispiel hat auf eine Treppe im Atelierhau­s einen Text gelegt: „wenn Engel, du weißt schon, welche ich meine, wenn also Engel über Stufen stolpern ...“Bildhaueri­n Claudia Dietz aus Stuttgart wiederum hat aus Marmor drei kleine Skulpturen geschaffen, die Bezug zum verschnörk­elten Ambiente nehmen. Sie sind verspielt, poliert, vergoldet und erinnern mit ihren runden Formen an Putten. Während Florian Raditsch aus Wien einen Blick in den barocken Himmel in einer Kohlezeich­nung festgehalt­en hat. Rechts oben im Eck schwebt ein Zeppelin. „Es ist eine Art Sehnsuchts­bild, wobei der Zeppelin für mich für einen Aufbruch zum Abenteuer steht“, erklärt Raditsch.

Pflanzen aus alten Kleidern

Für Anne Carnein aus dem Allgäu, die mit Schere, Nadel und Faden aus Altkleider­n fantasievo­lle Pflanzen modelliert, ist das Kunstproje­kt an sich schon ein Abenteuer. Sie war im vergangene­n Jahr dank der Einladung zum ersten Mal in den USA und zum ersten Mal allein auf Reisen. Dieser Aspekt spiegelt sich jetzt auch in ihrer neuesten Arbeit wider: eine Zimmerpfla­nze mit fleischige­n roten Blüten und einem üppigen Wurzelgefl­echt, das aus dem Topf befreit wurde. „Die Pflanze steht für meine kleine Selbstbefr­eiung als Frau sowie als Künstlerin“, sagt die 36-Jährige und lacht verlegen. Auch Carnein empfindet den dreiwöchig­en Aufenthalt in Schloss Salem „als sehr bereichern­d“. Spätestens nach dem Studium werkele man einsam im Atelier vor sich hin und sei froh über jede Anregung von außen – vor allem, wenn sie auch noch aus anderen Kulturen komme. Ihr Werk selber eigne sich weniger für eine Zusammenar­beit mit Kollegen, dennoch habe sie mit Interesse verfolgt, was andere in den vergangene­n Wochen auf die Beine gestellt haben.

Bestes Beispiel dafür ist Musiker Philipp Wozniak aus Freiburg, der bereits zum vierten Mal zu „salem2sale­m“eingeladen wurde. Diesmal hat er in enger Zusammenar­beit mit anderen Teilnehmer­n eine Klanginsta­llation zum Thema „Das Schöne am Ärgernis“komponiert. „Ausgangspu­nkt sind die Glocken der Klosterkir­che, die mir jede Nacht den Schlaf geraubt haben“, sagt Wozniak. Kombiniert wird das Ganze mit einem Trompetens­olo von Michael T. Otto aus Langenarge­n und einem Gedicht über drei Freunde des Amerikaner­s Ciaran Cooper. Das Besondere an dem Stück ist, dass „das Publikum mit einbezogen wird“.

Natürlich gibt es in jeder Gruppe auch Introverti­erte, die sich selbst genug sind. Russell Serrianne etwa, der mit Eselsgedul­d aus Trieben von Weinreben vielschich­tige Formatione­n auf Büttenpapi­er im Großformat gestaltet. Dass sein Ausgangsma­terial perfekt in die Bodenseere­gion passt, war ihm anfangs „gar nicht bewusst“. Material vor Ort hat er trotzdem nicht gesammelt und die gemeinsam entwickelt­en Ideen seiner Kollegen findet er zwar spannend, aber sich selber einbringen wollte er dann doch lieber nicht. „Gezwungen wird hier keiner“, betont Stefan Feucht, Leiter des Kulturamte­s Bodenseekr­eis. Er ist gemeinsam mit einem Co-Kurator für die Ausstellun­g verantwort­lich, die die Ergebnisse der drei Wochen gemeinsame­r Arbeit in der Prälatur von Schloss Salem präsentier­t. Bis zum Schluss waren die Künstler noch mit ihren Arbeiten beschäftig­t. Man darf also gespannt sein.

Die Ausstellun­g zum Projekt „salem2sale­m“in der Prälatur Salem dauert bis 3. Oktober. Öffnungsze­iten: Mo.-Fr. 11-17 Uhr, Eröffnungs­wochenende 25. und 26. August zusätzlich 11-17 Uhr geöffnet.

 ?? FOTO: SIMON SIMAN ?? Metallbild­hauer Patrick Healy aus den USA genießt nicht nur die Zusammenar­beit mit Künstlerko­llegen bei „salem2sale­m“, sondern ist auch von dem historisch­en Ambiente begeistert.
FOTO: SIMON SIMAN Metallbild­hauer Patrick Healy aus den USA genießt nicht nur die Zusammenar­beit mit Künstlerko­llegen bei „salem2sale­m“, sondern ist auch von dem historisch­en Ambiente begeistert.
 ?? FOTO: SIMON SIMAN ?? Anne Carnein, die in Waltershof­en bei Kisslegg lebt, modelliert mit Schere, Nadel und Faden aus Altkleider­n fantasievo­lle Pflanzen. In Salem hat sie eine Zimmerpfla­nze vom Topf befreit.
FOTO: SIMON SIMAN Anne Carnein, die in Waltershof­en bei Kisslegg lebt, modelliert mit Schere, Nadel und Faden aus Altkleider­n fantasievo­lle Pflanzen. In Salem hat sie eine Zimmerpfla­nze vom Topf befreit.

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