Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kritiker mit kurzen Beinen und anderem Blick

Museen sind für Kinder oft ein Graus – dass es auch anders geht, zeigen einige Projekte in Deutschlan­d

- Von Ulrike Hofsähs

DÜSSELDORF (dpa) - Der zehn Jahre alte David kommt direkt zur Sache. „Uns war aufgefalle­n, dass man an der Fassade etwas verbessern könnte“, sagt der dunkelhaar­ige Viertkläss­ler und zählt gleich auf: Die dunkel gekachelte­n Außenwände sind kahl, der Name des Museums fehlt, der Eingang könnte einladende­r sein.

Die Kunstsamml­ung NordrheinW­estfalen in Düsseldorf glänzt mit Meisterwer­ken von Pablo Picasso, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee oder Jackson Pollock. Nun haben Grundschül­er ein halbes Schuljahr lang das Haus durchforst­et und Vorschläge für ein kindgerech­teres Haus gemacht. Schon am Eingang würden sie Blumen, Sitzbänke und Sonnenschi­rme aufstellen.

Die langen, schwarzen Bänke im durchgesty­lten Foyer kamen nicht gut an. „Die sind so unbequem, zu hart und man kann nicht gut reden“, sagt die neunjährig­e Mathilda. Denn wichtig sei, dass man sich in einer Unterhaltu­ng „ankugt“, wie ein Schüler auf einer Zettelwand notierte. Aber auf den Ledersitze­n am Eingang muss man sich dafür verrenken. Was Erwachsene nicht mehr wahrnehmen, fällt den jungen Kritikern auf: Der Eingang ist schwer zu finden, die Drehtür gehorcht eigenen Gesetzen.

Unter den 25 Jungen und Mädchen aus der Klasse 4b der PaulKlee-Grundschul­e in Düsseldorf waren einige noch nie zuvor in einem Museum. Ihre Meinung interessie­rt die Museumspäd­agogen sehr. „Es gibt viele Aspekte, die uns im Traum nicht eingefalle­n sind“, sagt Marijke Maschwitz und erzählt von einem Kind, das den Tresen mit der Kasse zu hoch findet. „Ich kann nicht sehen, was die da machen!“, sagte es und schlug eine kleine Treppe vor.

Programme für Kinder machen viele Museen, aber nach ihrer Meinung werden sie selten ausdrückli­ch gefragt. Das Berliner Bode-Museum aber wird bis Ende 2020 zum Experiment­ierfeld: Schüler und Lehrer aus neun Partnersch­ulen in der Stadt entwickeln und probieren mit Museumsleu­ten neue Vermittlun­gsansätze. Das Albertinum in Dresden hat vor einem Jahr einige Gemälde tiefer und damit auf Augenhöhe junger Besucher gehängt. In Frankfurt sind seit Anfang 2017 viele Museen für Besucher unter 18 Jahren kostenlos, jetzt kommen mehr Heranwachs­ende.

Für Susanne Gaensheime­r, die Direktorin der Kunstsamml­ung NRW, geht es im Düsseldorf­er Projekt zuallerers­t darum, dass Kinder sich angesproch­en und eingeladen fühlen. Wenn der zehnjährig­e Surosch bemängelt, dass der Text auf den Schildchen neben den Gemälden schwer zu lesen ist, sagt die Museumsche­fin: „Da habt ihr echt recht.“David findet die einfarbige­n Papierstre­ifen ums Handgelenk als Eintrittsk­arte „langweilig“, er schlägt Bänder aus Leder oder Stoff vor. „Dann hat man auch eine Erinnerung an das Museum.“Eine gute Idee sei das, sagt Gaensheime­r – aber Leder sei leider zu teuer. „Das eine oder andere können wir sicher übernehmen“, meint die Museumsche­fin.

Die Viertkläss­ler haben auch kleine Sofamodell­e gebastelt. Eine runde Bank mit rotem Bezug trägt ein Schild „Entspann' Dich“. Die zehn Jahre alte Kawal hat ein fröhliches, gelbes Sofa mit Tiermotive­n gebaut: „Für kleine Kinder“, sagt sie. Ideen für Museumsakt­ionen haben die Schüler auch: Suchspiele nach Motiven, Formen oder Farben. Andere wollen die Bilder als Vorlage für einen Tanz nehmen, andere Yoga nach Formen und Bewegungen in den Werken machen. Im neuen Schuljahr lädt die Kunstsamml­ung, eines der besucherst­ärksten Museen in NRW, wieder junge Kritiker ein. Eine andere Klasse nimmt dann das Museum unter die Lupe.

Ortswechse­l: Jeder Schritt im Foyer der Münchner Pinakothek der Moderne hallt frühmorgen­s besonders laut, wenn 25 kleine Kunstneuli­nge ins Museum stapfen und mit einem Schlag Leben einkehrt. „Wohnt hier der Paul Klee?“, fragt ein Junge.

Die Sechsjähri­gen aus einer Garchinger Kindertage­seinrichtu­ng nutzen an diesem Morgen ein Angebot der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen und des Museumspäd­agogischen Zentrums (MPZ): Kindergärt­en und Schulen dürfen mit speziellen Führungen noch vor anderen Besuchern ab 8.30 Uhr in ausgewählt­e Museen. „So können sie sich in Ruhe und exklusiv mit den Objekten beschäftig­en“, erklärt Verena Eckardt vom MPZ.

Die Führung der „Schlaufüch­se“, so nennt der Kindergart­en seine Vorschulgr­uppe, übernimmt Helene Roth. Während einige noch aufs Klo gehen, toben andere um die Säulen herum. „Das ginge normal nicht“, sagt die Kunsthisto­rikerin. Da machten es die Sonderöffn­ungszeiten schon entspannte­r: Die Kinder müssten nicht ganz leise sein und dürften auch mal länger bei einem Bild bleiben. Außerdem ist das einfach eine besondere Atmosphäre, sagt Roth: „So ganz allein im Museum.“

Die Kinder sitzen auf dem Boden im Foyer. Staunend schauen sie in die großen Halle und sind voller Fragen: „Wohnst du hier?“, will ein Mädchen wissen. „Gibt's hier auch Knochen von Dinosaurie­rn?“, fragt ein Junge. Roth muss ihn enttäusche­n: „Da musst du in ein anderes Museum, wir schauen uns heute Bilder von …“Sie wird ganz abrupt unterbroch­en: „Coooooool!“, kreischt jemand und zeigt nach oben. Alle Augen folgen dem Finger, es folgt ehrfürchti­ges Raunen. Auch Roth schaut hoch: Ein Stockwerk weiter oben tuckert ein kleines Hebebühnen­fahrzeug vorbei. Sie schmunzelt: Kinderführ­ungen sind anders.

„Die Kinder können selbst Künstler spielen, kreativ sein, sich ausprobier­en.“Esmeray Horataci, Erzieherin

Vier Wochen haben ihre Erzieherin­nen die Schlaufüch­se auf den Ausflug vorbereite­t. Malen wie Monet, Hundertwas­ser und Klee – für sie ein Klacks. „Im letzten Jahr machen wir viele Ausflüge“, erklärt Esmeray Horataci. Das Thema Kunst sei dafür perfekt: selbst Künstler spielen, kreativ sein, sich ausprobier­en.

„Ihr versteht das bestimmt“, mahnt Roth bevor es losgeht: „Wenn ihr etwas Schönes gemalt habt, wollt ihr auch nicht, dass es jemand anfasst.“Dann motiviert sie die Kids: „Jetzt geht ihr mal so leise wie möglich die Treppe hoch!“Grinsend nehmen die Schlaufüch­se die Herausford­erung an – und spurten mit übertriebe­n großen Schritten los. Von langsam hat niemand etwas gesagt.

Doch warum überhaupt schon mit kleinen Kindern ins Museum? „So ein Besuch soll Begeisteru­ng wecken, Entdeckerf­reude unterstütz­en und Kreativitä­t fördern“, sagt Eckardt. Mit einer Führerin wie Roth kein Problem. Sie packt gerade bunte Formen aus und lässt die Kinder eigene Kunstwerke legen. Dann dürfen die anderen raten, was es sein soll.

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FOTOS: DPA Still sein und brav zuhören, wie hier im Kölner Wallraf-Richartz-Museum (re.), fällt Kindern oft schwer. Auf dem Boden geht es besser: Viertkläss­ler schauen sich das Gemälde Compositio­n IV von Wassily Kandinsky in der Kunstsamml­ung Nordrhein-Westfalen an (li).
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Museum ist kein Problem, wenn es wie hier im Staatliche­n Museum für Naturkunde in Stuttgart extra Ausstellun­gen für Kider gibt.

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