Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Neustart gelingt als Übersetzerin oder Lkw-Fahrer
Geflüchtete haben nach der Zeit in der Robert-Bosch-Straße jetzt Wohnung und Arbeit gefunden – Hilfe Ehrenamtlicher weiter nötig
RAVENSBURG - Als vor zweieinhalb Jahren täglich geflüchtete Menschen aus den Erstaufnahmestellen auf die Landkreise verteilt wurden, hat die Ravensburger AG der Stadt ein ungenutztes Hochregallager zur Verfügung gestellt. Nach dem raschen Umbau zum Flüchtlingsheim sind 13 Familien aus Syrien eingezogen. Vielen von ihnen ist inzwischen der Start in ein neues Leben gelungen. Eine Rückkehr nach Syrien wäre vor allem für die Kinder ein großes Problem.
Die 30-jährige Syrerin Kodrat Alawy kam kurz vor Ostern 2016 mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ravensburg an. Die Frau mit dem blau gemusterten Kopftuch spricht inzwischen gut Deutsch und doch gibt ihr die Sprache noch manchmal Rätsel auf. „Man muss hier immer nachdenken, ob man Sie oder Du sagen soll.“In Syrien gebe es diese Unterscheidung nicht. Für Kodrat Alawy steht fest: „Wenn ich hierbleiben darf, will ich hier bleiben.“Eine Rückkehr nach Syrien wäre vor allem für die Kinder (5, 10, 13) ein Problem. „Wenn ich arabisch spreche, sagt mir meine kleine Tochter: Ich versteh dich nicht, sag es mir auf Deutsch!“Ein Meilenstein beim ANZEIGE Neustart in Deutschland war für Kodrat Alawy, dass sie Arbeit gefunden hat. Sie leistet bei der Stadtverwaltung Ravensburg ihren Bundesfreiwilligendienst, dort übersetzt sie und gibt einen Fahrradkurs für geflüchtete Frauen. Auch ihr Ehemann fängt bald als Busfahrer an.
Auch Mohamed Bdewi (14) ist mit seinen Eltern und seinen zwei Schwestern vor zweieinhalb Jahren in der Robert-Bosch-Straße angekommen. Für ihn eine andere Welt. Die Schule in Deutschland sei ganz anders als in Syrien. „Dort waren wir 45 Kinder in einer Klasse. Die Lehrer haben die Schüler auch geschlagen“, sagt der Jugendliche. „Es gab keine Ausflüge.“Mohamed kommt nach den Sommerferien in die achte Klasse der Barbara-Böhm-Gemeinschaftsschule. Er spielt Fußball beim SV Weißenau. „Ich habe jetzt viele Freunde. In dem Verein habe ich noch viel mehr Deutsch gelernt.“Seine Mutter steckt noch im Sprachkurs fest, muss die Prüfung wiederholen. Sein Vater Ahmad Bdewi (49) hat kürzlich den Lkw-Führerschein gemacht und fängt bald bei einer Spedition an.
Brigitte Lewandowski (56), die bei Ravensburger arbeitet, begleitet beide Familien ehrenamtlich. „Wir haben angefangen mit ein bisschen Englisch und mit Händen und Füßen“, erinnert sie sich. Wohnungen für die Familien zu finden, sei schon eine Herausforderung gewesen. „Die nächste Schwierigkeit ist, die Leute in Arbeit zu bringen“, sagt sie. Deutschland sei dabei kein Vorbild in Sachen Bürokratie. Unzählige Formulare habe sie für den Arbeitsbeginn von Familienvater Ahmad Bdewi als Lkw-Fahrer ausgefüllt. Die Zuneigung der Familien ist für sie der schönste Lohn für ihre Arbeit. „Ich bin extrem stolz auf ihn“, sagt sie. „Es ist ein tolles Gefühl, ihn auf diesem Weg begleitet zu haben.“Ahmad Bdewi sagt über Lewandowski: „Sie ist der Engel für unsere Familie.“
Das ehrenamtliche Engagement hat in den vergangenen zwei Jahren abgenommen, wie Lewandowski sagt. „Es ist aber auch jetzt noch eine intensive Betreuung notwendig, damit alles klappt.“
Laut Sozialamtsleiter Stefan Goller-Martin lebten anfangs 80 Menschen in der Unterkunft, bis auf vier sind von der ersten Belegungsgeneration alle in eigene Wohnungen gezogen. Weil nicht mehr so viele Geflüchtete ankommen, müssen sich jetzt nur noch 60 Menschen die Unterkunft teilen, sagt Goller-Martin. Die Firma Ravensburger hat das Gebäude zunächst für zwei Jahre zur Verfügung gestellt. Die Vereinbarung wurde inzwischen bis Frühjahr 2019 verlängert.
Die ehemalige Heimleiterin EvaMaria Komprecht kam diese Woche zum Sommerfest in der RobertBosch-Straße nicht als Angestellte der Stadt, sondern vielmehr als Freundin der Familien. Gut ein Jahr hat Komprecht die Einrichtung geleitet. Sie hat miterlebt, dass der Lebensrhythmus der Syrer viel weiter in den Abend hineinreicht als bei den meisten Deutschen. „Wenn man Wand an Wand im Reihenhaus wohnt, könnte das schwierig werden“, sagt Komprecht. Aber sie ermuntert: „Wenn man Offenheit mitbringt, macht man tolle Erfahrungen in der Begegnung.“
Wer sich ehrenamtlich engagieren will, kann sich bei der Flüchtlingsbeauftragten der Stadt melden: Anna Rieser, 0751 / 82425, anna.rieser@ravensburg.de Syrische Frauen verkaufen am Samstag, 29. September, auf dem Wochenmarkt Kulinarisches aus ihrer Heimat. Ein gemeinsames Kochen ist am Donnerstag, 27. September, an der Volkshochschule Ravensburg. Anmeldung ist erforderlich.