Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

6500 Tonnen Verpackung­smüll pro Jahr

Der Bodenseekr­eis liegt beim Gelben Sack im Bundesdurc­hschnitt – Nur 50 Prozent des Mülls ist recycelbar

- Von Jens Lindenmüll­er

FRIEDRICHS­HAFEN - Dass rund um den Erdball Unmengen von Müll produziert werden, ist kein Geheimnis. Doch der Mensch an sich ist gut im Verdrängen: Was ich nicht sehe, nehme ich auch nicht wahr, zumindest nicht als Problem. Die immer präsentere­n Bilder von gigantisch­en Plastikmül­lfeldern in den Weltmeeren und meterhoch sich auftürmend­en Müllbergen an ehemaligen Traumsträn­den machen das Verdrängen allerdings immer schwerer. Und irgendwann stellt man sich unweigerli­ch die Frage: Welchen Anteil habe ich daran? Sind wir in Deutschlan­d außen vor, weil wir Weltmeiste­r im Mülltrenne­n und Recyceln sind? Die Schwäbisch­e Zeitung hat mal nachgehakt, was eigentlich mit den im Bodenseekr­eis eingesamme­lten Gelben Säcken passiert.

Der Verpackung­swahnsinn in der so genannten zivilisier­ten Welt nimmt bisweilen bizarre Formen an. Bananen oder Orangen, die erst geschält und dann in Stücke zerteilt in Folie verpackt werden, sind nur die Spitze dieses Wahnsinns, die in Kombinatio­n mit besagten Bildern der vermüllten Meere in sozialen Medien immer öfter emotionale Diskussion­en auslösen. Die einen appelliere­n an die Eigenveran­twortung jedes Einzelnen beim Einkauf, die anderen sehen vor allem Industrie und Handel in der Verantwort­ung – und wieder andere zeigen mit dem Finger aufs Ausland und verweisen darauf, dass es in Deutschlan­d ja ein gut funktionie­rendes Mülltrennu­ngsund Wiederverw­ertungssys­tem gebe.

Allein im Bodenseekr­eis landen jährlich im Durchschni­tt etwa 6500 Tonnen Verpackung­smüll in Gelben Säcken. Das sind etwa 30 Kilogramm pro Einwohner. Diese Zahlen liefert der für den Bodenseekr­eis zuständige Mülltrennu­ngssystemb­etreiber „Der Grüne Punkt - Duales System Deutschlan­d GmbH“(siehe gesonderte­n Infokasten). Laut Pressespre­cher Norbert Völl entspreche­n sie ungefähr dem Bundesdurc­hschnitt. Regionale Unterschie­de gebe es durchaus, bedingt nicht zuletzt durch Fehlwürfe. Je mehr Dinge im gelben Sack landen, die da nicht hineingehö­ren, desto mehr Gewicht bringen die gefüllten Säcke auf die Waage. „In städtische­n Bereichen ist der Anteil an Fehlwürfen meist höher als in ländlichen“, sagt Völl. Und in Baden-Württember­g niedriger als zum Beispiel in NordrheinW­estfalen. Die Säcke aus dem Bodenseekr­eis seien „relativ sauber“.

Das bestätigt auch Susanne Jagenburg, Pressespre­cherin des Entsorgung­sunternehm­ens Alba, das im Bodenseekr­eis im Auftrag des Systembetr­eibers „Der Grüne Punkt“die Gelben Säcke einsammelt. „Natürlich finden wir dennoch immer wieder Stoffe im Gelben Sack, die dort nicht hineingehö­ren“, sagt sie wobei hier unterschie­den werde zwischen echten und intelligen­ten Fehlwürfen. Zu letzteren zählen recycelbar­e Abfälle, die aus Kunststoff, Metall oder Verbund-stoffen bestehen, aber keine Verpackung darstellen. Als Beispiele für echte Fehlwürfe nennt Jagenburg Windeln, Kaffeesatz und Sperrmüll. Laut Norbert Völl sind in Sortieranl­agen auch schon alte Gartenschl­äuche oder sogar Tierkadave­r aus Gelben Säcken gefischt worden.

Von dem von Alba im Bodenseekr­eis eingesamme­lten Müll aus den Gelben Säcken übernimmt „Der Grüne Punkt“knapp zwei Drittel – die dann nach Rheinfelde­n zur VogtPlasti­c GmbH gebracht werden. Dort wird der Müll zunächst sortiert. Während Kunststoff­e dort bleiben und zu Granulat verarbeite­t werden, das dann wiederum als Rohstoff an die Industrie verkauft wird, werden andere recycelbar­e Abfälle an andere darauf spezialisi­erte Betriebe weitertran­sportiert. Wie hoch der Anteil tatsächlic­h recycelbar­er Abfälle in den Gelben Säcken ist, hängt nicht nur davon ab, wie korrekt er befüllt worden ist, sondern auch vom technische­n Stand der jeweiligen Sortieranl­age. Selbst bei modernen Anlagen beträgt dieser Anteil bei einem durchschni­ttlichen Gelben Sack laut Norbert Völl lediglich 50 Prozent. Weil die neue Verpackung­sordnung ab 2019 genau diese Quote als Minimum fordert, müssen ältere Sortieranl­agen modernisie­rt werden. Selbst mit diesen wird die Quote aber nur dann zu erreichen sein, wenn die Säcke korrekt befüllt worden sind. Was nicht recycelbar ist beziehungs­weise die Anlage nicht als recycelbar erkennt, wird laut Völl zu einem Großteil als Ersatzbren­nstoff für die Herstellun­g von Zement verwertet. Etwa sechs Prozent des gesamten Mülls sei auch dafür nicht zu gebrauchen und werde in Müllverbre­nnungsanla­gen gebracht.

Weltmüllki­ppe ist geschlosse­n

Und wie ist das mit Müllexport­en nach Asien? Bevor die Pekinger Regierung zu Beginn des Jahres unter anderem für unsortiert­en Plastikmül­l einen Importstop­p verhängt hat, galt China als Weltmüllki­ppe. Rund die Hälfte des weltweiten Mülls soll bis dahin nach Fernost verkauft worden sein. Er diente den Chinesen zur Gewinnung von Rohstoffen. Was nicht verwertbar war, landete zum Teil in Flüssen und schließlic­h in den Meeren. Müll, der auch aus dem Bodenseekr­eis stammt? „Aus dem dualen System ist fast nichts in China gelandet“, sagt Norbert Völl. Aus Deutschlan­d importiert hätten die Chinesen vor allem PET-Flaschen sowie Folien aus Handel und Gewerbe. Und bei dem, was aus dem dualen System dorthin verkauft worden sei, habe es sich ausschließ­lich um bereits sortierten, komplett verwertbar­en Müll gehandelt.

Heißt das nun, dass wir weiterhin bedenkenlo­s Plastikver­packungen kaufen und in den Gelben Sack stopfen können, weil sie ja zumindest zum Teil recycelt werden können und eher nicht auf Umwegen in den Weltmeeren landen? Nun, die Recycelbar­keit ist das eine, die schiere Menge an globalem Plastikmül­l etwas ganz anderes, da die Möglichkei­ten einer sinnvollen Wiederverw­ertung im Verhältnis zu dieser Menge noch sehr begrenzt sind. Von daher gilt im Bodenseekr­eis dasselbe wie in Peking oder New York: Der Verzicht auf Plastikver­packungen hilft bei der Lösung des globalen Müllproble­ms mehr als recycelbar­e Plastikver­packungen.

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FOTO: ARCHIV/MONA SCHERENBER­GER

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