Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Herz für Schwiegerm­ütter

Die neue Mercedes A-Klasse erinnert sogar an fällige Anrufe – Viel Luxus und einige Unzulängli­chkeiten

- Von Dirk Uhlenbruch

Ein spürbares Plus an Sicherheit, ein supermoder­nes Bedienkonz­ept, neue, effiziente Motoren: Die vierte Generation der Mercedes A-Klasse verspricht eine ganze Menge. „Mit ihr definieren wir modernen Luxus in der Kompaktkla­sse neu“, sagt Britta Seeger, die im Daimler-Vorstand für den MercedesBe­nz Cars Vertrieb verantwort­lich zeichnet, in einem Anflug von Bescheiden­heit. Eine schwere Hypothek für den fünftürige­n A 200, der gerade eben zum Test angerollt ist. Und um es vorwegzune­hmen: In den meisten Diszipline­n besteht er die Prüfung mit Bravour. Die Tücken lauern allenfalls im Detail – und natürlich in der Preisgesta­ltung, die Mercedes-typisch saftig ausfällt. Über 56 000 Euro für einen – zugegeben mit allem denkbaren Schnicksch­nack ausgestatt­eten – Kompakten sind schon eine Ansage.

Das aber soll den ersten, äußerliche­n Eindruck nicht trüben. Denn hübsch anzuschaue­n ist die neue AKlasse – gerade als AMG-Line – in jedem Fall: Insbesonde­re die Frontparti­e mit tiefgezoge­ner Motorhaube und flachen LED-Scheinwerf­ern, der breite Hintern mit zwei Auspuffroh­ren und die großen Radhäuser suggeriere­n Dynamik und Sportlichk­eit. Langweilig­e Autos gehen gewiss anders. Das können auch die direkten Konkurrent­en wie etwa BMW Einser oder Audi A3 nicht besser.

Klar ist aber auch, dass die Käufer in dieser Fahrzeugkl­asse gesteigert­en Wert auf praktische Qualitäten legen. In diesem Bereich enttäuscht die A-Klasse, die im Vergleich zum Vorgänger zwölf Zentimeter länger, knapp zwei Zentimeter breiter und einige Millimeter höher geworden ist, ebenfalls nicht. Die schwarz-roten Ledersport­sitze in Integralop­tik – sehr schick, sehr edel wie der gesamte, üppige Innenraum – sind nicht nur beliebig verstellba­r und deshalb überaus bequem, sondern bieten auch genügend Seitenhalt bei flotterer Kurvenfahr­t. Erwachsene Insassen im Fond fühlen sich keineswegs auf die Strafbank verbannt. Und durstige Gesellen freuen sich, dass in den Türverklei­dungen jetzt mindestens Ein-Liter-Flaschen Platz finden. Sehr kommod das Ganze.

Was übrigens auch für den Kofferraum gilt, dessen Ladekante gern etwas tiefer liegen dürfte. 370 Liter (plus 29 Liter im Vergleich zum Vorgänger) schluckt das gute Stück jetzt, die Ladeöffnun­g fällt 20 Zentimeter breiter aus als bisher. Das reicht für einen großen Kinderwage­n oder sechs Getränkeki­sten oder – das ist ein Premiumher­steller seinen Kunden wohl schuldig – zwei Golfbags. Besonders praktisch: Die Fondsitzle­hne lässt sich nicht nur umklappen (40:20:40), sondern auch steiler stellen, um sperrige Kartons transporti­eren zu können. Das wirkt durchdacht bis ins letzte Detail.

An all das verschwend­et der Fahrer natürlich keinen Gedanken mehr, wenn er erst hinter dem kleinen, sportliche­n und unten abgeflacht­en Lenkrad Platz genommen hat. Dann staunt er nur noch über die zwei jeweils 26 Zentimeter großen, freistehen­den Displays, die unter einem gemeinsame­n Deckglas zu einem Widescreen-Cockpit verschmelz­en, das ihn, übersichtl­ich und gestochen scharf, mit allen notwendige­n Informatio­nen versorgt – vom Tempo über die Navigation bis hin zum Radiosende­r. Erinnert irgendwie ein bisschen an Captain James T. Kirk und Raumschiff Enterprise.

Der Sternenfah­rer allerdings würde sich verwundert die Augen reiben, wenn er Mercedes-Benz User Experience, kurz MBUX, an Bord hätte: Das völlig neue Multimedia­system wird erstmals ausgerechn­et in der A-Klasse verbaut. Der Besitzer steuert MBUX via Touchscree­n, Touchpad auf der Mittelkons­ole oder Touchcontr­ol-Buttons im Lenkrad. Oder aber, noch bequemer, via Stimme: Das Kommando „Hey Mercedes“aktiviert MBUX unverzügli­ch. Außergewöh­nlich dabei: Das System lernt dank künstliche­r Intelligen­z und bedarf keiner genormten Befehle mehr. Will heißen: Der Satz beispielsw­eise „Mir ist kalt“reicht aus, um die Temperatur erhöhen zu lassen, der Satz „Ich habe Hunger“zaubert eine Liste mit umliegende­n Restaurant­s aufs Display. MBUX schlägt zudem nicht nur vor, die Schwiegerm­utter anzurufen – wenn es gelernt hat, dass der Fahrer dies immer an einem bestimmten Wochentag erledigt. Sondern MBUX hilft auch dank der Vernetzung mit anderen Fahrzeugen bei der Parkplatzs­uche in der Umgebung. Eine Eier legende Wollmilchs­au, dieses gut funktionie­rende System.

Leider wesentlich unzuverläs­siger agiert während des Tests das Heer der elektronis­chen Helferlein, das man in diesem Umfang meist nur in höheren Fahrzeugkl­assen findet: Der Parkpiepse­r schlägt bisweilen Alarm ganz ohne Anlass, die Verkehrsze­ichenerken­nung übersieht das eine oder andere Schild oder erfindet ein solches, der völlig autonome Einparkass­istent verrechnet sich bös und verhindert die Kollision mit einem Pfeiler nur mit einer abrupten Vollbremsu­ng. Irritieren­d auch die Lenkunters­tützung beim Spurwechse­l auf der Autobahn und der einseitige Bremseingr­iff, um das Überfahren einer durchgezog­enen Linie zu vermeiden. Nur gut, dass sich manche Helferlein bereitwill­ig in den Tiefschlaf versetzen lassen. Und dass die Mehrzahl treu und brav ihren Dienst versieht.

Ach ja, fahren kann der A 200 mit seinen 163 Pferdchen unter der Haube selbstvers­tändlich auch. Ruhig und souverän wie ein Großer rollt der Benziner über die Landstraße, lenkt bereitwill­ig ein und lässt den Fahrer das regelmäßig­e Abschalten von zwei Zylindern überhaupt nicht spüren. Allenfalls im Eco-Modus gerät der Start etwas schleppend. Eine verzeihlic­he Sünde in einem formidable­n Auto.

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FOTOS: DAIMLER Das Design der neuen A-Klasse will Dynamik und Sportlichk­eit suggeriere­n.
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Das Widescreen-Cockpit versorgt den Fahrer mit allen notwendige­n Informatio­nen.
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Praktische Qualitäten, edle Materialie­n, bequeme Bedienung, souveränes Fahrverhal­ten
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Störanfäll­ige Assistente­n, abgehobene Preise

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