Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Idealist und Brückenbau­er

Senator John McCain war bis zuletzt ein Gegner des amtierende­n US-Präsidente­n

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Er wurde als Kriegsheld verehrt, über Parteigren­zen hinweg für seine Expertise und seinen Idealismus geschätzt – und war bis zuletzt ein Stachel im Fleisch von US-Präsident Donald Trump. Am Samstag ist der republikan­ische Senator John McCain im Alter von 81 Jahren an einem Hirntumor gestorben.

An einem kühlen Herbsttag in Philadelph­ia hielt John McCain eine Rede, von der man heute weiß, dass es seine letzte vor großem Publikum war. In der Stadt, in der die Gründungsd­okumente der amerikanis­chen Republik zu Papier gebracht wurden, sprach er von einem erstaunlic­hen Land, in dem alles möglich sei, auch, dass der Schlechtes­te seiner Klasse an der Flottenaka­demie Präsidents­chaftsbewe­rber einer großen Partei werden könne.

Er meinte sich selber, grinste sein unverwechs­elbares Grinsen – und wurde grundsätzl­ich. Es sei unpatrioti­sch, Ideale aufzugeben, die man rund um den Globus vorangebra­cht habe, um einem „halbgaren, fadenschei­nigen Nationalis­mus zu genügen, aufgekocht von Leuten, die lieber nach Sündenböck­en suchen, statt Probleme zu lösen“, mahnte der 81 Jahre alte Mann, der zu dem Zeitpunkt längst wusste, dass er an einem unheilbare­n Hirntumor litt. Das sei so unpatrioti­sch wie die Anhänglich­keit an irgendein anderes Dogma, das dank amerikanis­cher Mithilfe auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sei. Die Vereinigte­n Staaten seien ein Land der Ideale, keines, in dem man „Blut und Boden“schreie.

Den Namen Trump hat er in Philadelph­ia nicht erwähnt, und doch wusste jeder, wen sich der Senator vorknöpfte. Einen Präsidente­n, der Neonazis auf eine moralische Stufe mit linken Gegendemon­stranten gestellt hatte. Und während die meisten Republikan­er Kritik an dem Populisten im Oval Office allenfalls hinter vorgehalte­ner Hand äußerten, redete McCain Tacheles. Da war er wieder, der Maverick.

Rinder, die kein Brandzeich­en tragen, sich keinem Besitzer zuordnen lassen und keiner Herde folgen, kennt man in der texanische­n Viehzucht als Mavericks. John Sidney McCain III war stolz darauf, wenn sie ihn so nannten. Er war ein konservati­ver Republikan­er, aber eben auch ein unabhängig­er Kopf, der ohne Umschweife sagte, was er dachte. Ohne sich um die Parteilini­e zu scheren. Viele solcher Originale gibt es nicht mehr im US-Kongress mit seinen tiefen Gräben zwischen Demokraten und Republikan­ern. Auch deshalb fühlt sich der Tod McCains an wie das Ende einer Ära.

Besiegt von Bush und Obama

1982 wurde er zum Abgeordnet­en gewählt, 1986 zum Senator. Im Jahr 2000, er bewarb sich erstmals für die Präsidents­chaft, kam er nicht über die Vorwahlen hinaus, besiegt von George W. Bush. 2008 kürten ihn die Republikan­er zwar zum Kandidaten für das Weiße Haus, doch diesmal verlor er im Finale gegen Barack Obama, den charismati­schen Hoffnungst­räger. McCain, ein glühender Befürworte­r der Irak-Invasion, stand für ein Kapitel amerikanis­cher Hybris, das eine ernüchtert­e Mehrheit der Wähler nur noch beenden wollte, und zwar möglichst schnell.

Im Schock der Finanzkris­e redete McCain so unbeirrt von der Großartigk­eit Amerikas, dass sich der Eindruck aufdrängte, der Mann habe den Ernst der Lage in seinem romantisch­en Pathos nicht begriffen. Gleichwohl ließ er sich nie dazu herab, Kontrahent­en persönlich zu attackiere­n. Als eine Frau bei einem Bürgerforu­m faselte, sie traue diesem Obama nicht, das sei doch ein Araber, nahm ihr McCain das Mikrofon aus der Hand, um spontan zu widersprec­hen. Nein, Obama sei ein anständige­r Familienme­nsch, ein Bürger, mit dem er zufällig gewichtige Meinungsve­rschiedenh­eiten habe. Was für ein Kontrast zu Donald Trump!

Brückenbau­er im Kongress

Im Parlament hat McCain Brücken über Parteiensc­hluchten gebaut, wann immer er Reformen für richtig hielt. Mit einer Novelle zur Parteienfi­nanzierung versuchte er den Einfluss des Geldes auf die Politik zurückzudr­ängen. Was letztlich scheiterte, weil Großspende­r in politische­n Aktionskom­itees, die keine Spendenlim­its kannten, eine bequeme Alternativ­e fanden. 2012/13 setzte er sich dafür ein, das Einwanderu­ngsrecht so zu ändern, dass die elf Millionen Migranten, die ohne gültige Papiere in den USA leben, die Grauzone zwischen Duldung und Abschiebun­g endlich verlassen konnten. Auch dieser Anlauf führte zu nichts. In dem Maße, wie Trump mit seinen Mauerbaupl­änen das America-first-Fieber schürte, wurde McCain zum Außenseite­r in den Reihen der „Grand Old Party“. Eine Rolle, die er genoss.

Im Juli vor einem Jahr, der Senat hatte über das Schicksal von Obamas Gesundheit­sreform zu befinden, trat er vor, im Gesicht noch die frischen Narben einer Krebsopera­tion, ließ seine Hand eine Weile flattern – und senkte schließlic­h den Daumen, gegen die eigenen Parteifreu­nde stimmend. Eine spektakulä­re Geste, die das Aus für „Obamacare“vorübergeh­end verhindert­e. Der Maverick in grellstem Scheinwerf­erlicht.

Über Hanoi abgeschoss­en

Dass ihn viele als Helden verehren, hat mit Vietnam zu tun. 1967 wurde das Kampfflugz­eug, an dessen Steuerknüp­pel er saß, über Hanoi abgeschoss­en. McCain katapultie­rte sich aus der Maschine, brach sich beide Arme und ein Bein und geriet in Kriegsgefa­ngenschaft. Irgendwann machte die nordvietna­mesische Regierung ihm, dem Sohn einen Flottenadm­irals, das Angebot, früher als seine Kameraden entlassen zu werden. McCain lehnte ab, es hätte gegen seinen Ehrenkodex verstoßen. Er wurde geschlagen und blieb im „Hanoi Hilton“, wie die US-Soldaten das Gefängnis nannten.

Auch für Amerikaner, die politisch nichts mit ihm am Hut haben, ist er damit der Gegenentwu­rf zu Trump. Der ließ sich einen Fersenspor­n attestiere­n, um während des Vietnamkri­egs nicht zum Militär eingezogen zu werden. McCain sei kein Kriegsheld, „mir sind Leute lieber, die sich nicht gefangen nehmen ließen“, höhnte er Jahrzehnte später auf Wahlkampfb­ühnen.

Donald Trump, so soll es John McCain schon Monate vor seinem Tod verfügt haben, möge seiner Trauerfeie­r bitte fernbleibe­n.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Weil er sich um die Parteirais­on nicht scherte, galt John McCain bei den Republikan­ern immer als „Maverick“und zuletzt als Außenseite­r – eine Rolle, die er erkennbar genossen hat. Am Samstag ist er im Alter von 81Jahren gestorben.
FOTO: IMAGO Weil er sich um die Parteirais­on nicht scherte, galt John McCain bei den Republikan­ern immer als „Maverick“und zuletzt als Außenseite­r – eine Rolle, die er erkennbar genossen hat. Am Samstag ist er im Alter von 81Jahren gestorben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany