Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bei „CoAct“bleibt nichts ungenutzt
Aktivkohle statt Kompost: Umweltprojekt will Holz und Grünschnitt anders verwerten
FRIEDRICHSHAFEN - Laub oder Grasschnitt gewinnbringend nutzen: Diesen Ansatz verfolgen die Forscher des Projekts „CoAct“im Bodenseekreis. Im Rahmen eines Pilotprojekts soll in der Bodenseeregion erforscht werden, ob es sich auf lange Sicht lohnt, Laub und andere RestBiomassen in Aktivkohle oder Brennstoffe umzuwandeln. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt mit 200 000 Euro. Koordiniert wird es von der Universität Kassel.
Laub oder Grasschnitt müssen nicht unbedingt kompostiert werden. Die Forscher des „CoAct“-Projekts entwickeln technische Verfahren, um aus solchen sogenannten Rest-Biomassen – also Schnittgut, das weder in die Hackschnitzelverarbeitung noch in den Biokompost wandert – Aktivkohle und Energie zu gewinnen. Aktivkohle ist ein Stoff, der für die Abwasserreinigung, Trinkwasseraufbereitung und viele weitere Zwecke genutzt wird. Sie könnte in der vierten Reinigungsstufe im Klärwerk zum Einsatz kommen.
Seit Juli sind die Forscher aktiv am Thema dran. „Bei diesem Projekt geht es darum, herauszufinden, ob es in der Region genügend verwendbares Material gibt und ob die Qualität ausreicht, dieses zu verwerten“, erklärt Robert Schwarz, Pressesprecher des Landratsamtes Bodenseekreis. Dafür gebe es eine dreijährige Forschungs- und Entwicklungsphase. „Wir können uns das wie eine Operation am offenen Herzen vorstellen“, ergänzt Professor Michael Wachendorf von der Universität Kassel, der das Projekt leitet: „Wir schauen uns alle Elemente entlang der gedachten Wertschöpfungskette an und analysieren, welche Funktion sie haben.“
Ressourcen nachhaltig nutzen
Holzschnitt lasse sich beispielsweise kleinhäckseln und zum Verkohlen in eine Pyrolyseanlage (thermisch-chemische Spaltung) geben. Werde die gewonnene Kohle mit Druck unter Wasserdampf behandelt, lasse sich Aktivkohle gewinnen. Mit einem anderen Verfahren behandeln die Forscher den Grünschnitt: „Wir entwässern und trocknen das Material und machen daraus etwas Holzartiges“, erklärt der Professor vereinfacht. Der Holzkuchen lasse sich ähnlich wie Holzschnitt weiterverarbeiten. Die in diesem Verfahren gewonnene Flüssigkeit enthalte viele Mineralstoffe, die etwa als Dünger auf die Felder ausgebracht werden könne.
Das Projekt wolle in der Landwirtschaft neue Einkommensquellen eröffnen und Impulse für die nachhaltige Nutzung von Ressourcen geben, sagt Wachendorf. So gelte es, Landwirte zu finden, die beispielsweise Schnittgut von Obstbäumen zur Energie- und Aktivkohlegewinnung zur Verfügung stellen. Die gewonnenen Produkte sollen der regionalen Wirtschaft zugutekommen, das Klima schonen und die Wasserqualität verbessern.
Es sei für eine Kommune wie Friedrichshafen eine Herausforderung ihre Klimaschutzziele zu erreichen: „Dafür müsste man mehr fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energieträger ersetzen“, sagt der Agrarwissenschaftler. „Rest-Biomassen wie Laub oder Landschaftspflegematerial werden dafür bislang kaum verwendet“. Daher biete das Projekt der Stadt und der Region neue Möglichkeiten, sagt Wachendorf.
Hat die dreijährige Forschungsund Entwicklungsphase ergeben, dass sich das Projekt rechnet, geht es an die Planung einer möglichen eigenen Anlage in der Region. Die Uni Kassel will dann auch bei der Investorensuche zur Seite stehen. Tilmann Stottele, Leiter der städtischen Umweltabteilung sagte jüngst im Umweltausschuss: „Auf lange Sicht ist das Ziel, gemeinsam mit dem Kompostwerk in Amzell, eine Anlage aufzubauen.“
Das Projekt ist im Rahmen des Programms „Stadt-Land-Plus“des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum 1. Juli 2018 bewilligt worden (wir berichteten). Der Bodenseekreis und die Stadt Friedrichshafen erhalten für die nächsten fünf Jahre eine Förderung in Höhe von bis zu 200 000 Euro. Die Mittel sollen vorrangig für die Schaffung je einer halben Stelle und Dienstleistungen aus der Region eingesetzt werden. Die Ausschreibung ist in Vorbereitung. Regionaler Koordinator ist die Bodensee Stiftung mit Sitz in Radolfzell. Vor Ort wird das Projekt durch das Abfallwirtschaftsamt Bodenseekreis und die Abteilung Umwelt und Naturschutz der Stadt Friedrichshafen geleitet.
Eine Auftaktveranstaltung für alle Beteiligten des Projekts „CoAct“findet am Mittwoch, 12. September, von 9 bis 13 Uhr im GrafZeppelin-Haus in Friedrichshafen statt. Wer sich für das Projekt interessiert und zum Auftakt kommen möchte, sollte sich bis zum 5. September per E-Mail anmelden: andreas.ziermann@ bodensee-stiftung.com