Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Filme, auf die Kinofans in aller Welt warten
Das Filmfestival von Venedig gilt längst als Sprungbrett für den Oscar – Programm punktet erneut mit vielen großen Namen
VENEDIG (epd) - Heute beginnt das 75. Filmfestival von Venedig – mit einem Programm, das als Auftakt zum Oscarrennen gehandelt wird und von so viel Prominenz bestimmt ist, dass alle Kontroversen im Vorfeld überstrahlt wurden.
Das älteste Filmfestival der Welt liebte schon immer die Superlative. In diesem, dem 75. Jahr, eröffnet man mit dem neuen Film des jüngsten Regisseurs, der je den Regieoscar gewonnen hat: Damien Chazelle („La La Land“) und seinem „First Man“. Der Film selbst handelt von einer seinerzeit die Welt in den Bann schlagenden Pioniertat: Es geht um Neil Armstrong, den ersten Mann auf dem Mond. Mit Ryan Gosling verkörpert einer der beliebtesten Stars seiner Generation Armstrong. Ob sich für Chazelle die Erfolgsgeschichte, die hier vor genau zwei Jahren mit „La La Land“begann, wiederholen kann? Oder wird ihm wieder ein Konkurrent die Auszeichnung als Bester Film in letzter Minute entreißen? Barry Jenkins, der mit „Moonlight“damals bei der Oscarverleihung so spektakulär „La La Land“ausstach, präsentiert jedenfalls auch seinen neuen Film nur wenige Tage später auf dem Festival in Toronto.
Womit man bei dem Thema wäre, das die Festivaldiskussion in Venedig seit ein paar Jahren beherrscht wie kein anderes. Venedig als Oscarsprungbrett – in dieser für die Filmindustrie wichtigen Funktion scheint das Festival seine neue Identität gefunden zu haben. Schließlich gewann mit „Shape of Water“in die- sem Jahr erneut ein Film den Hauptoscar, der seine Premiere am Lido gefeiert hatte. Die alles dominierende Oscarfrage lenkt die Aufmerksamkeit wie selbstverständlich zuvorderst auf die Produktionen, an denen Hollywood-Namen beteiligt sind – was naturgemäß Vor- und Nachteile hat. Zu den Vorteilen gehört, dass mit den neuen Filmen von Regisseuren wie Paul Greengrass, Julian Schnabel und den Gebrüder Coen Titel dabei sind, auf die Kinofans in aller Welt warten. Einer der Nachteile der grassierenden Oscarobsession besteht darin, dass die nichtamerikanischen Titel des Programms in den Hintergrund gedrängt werden, so sie nicht als Kandidaten wenigstens für die Sparte des „fremdsprachigen Films“in Frage kommen.
Deutscher Beitrag ist im Rennen
In dieser Hinsicht kann sich Florian Henckel von Donnersmarck qualifizieren, der mit seinem „Das Leben der anderen“2007 in Hollywood gewann und nun seinen Film „Werk ohne Autor“im Rennen um den Goldenen Löwen vorstellt. Darin widmet sich Donnersmarck erneut der deutschen Geschichte. Anhand der fiktiven Biografie eines in den 1930erJahren geborenen Künstlers erzählt er vom langen Schatten, den die faschistischen Verbrechen in die Lebensrealitäten der DDR und BRD hinein warfen.
Auch der Ungar László Nemes gewann bereits ein Mal den Auslandsoscar, 2016 mit seinem HolocaustDrama „Son of Saul“. Die Erwartungen an seinen neuen Film „Sunset“sind dementsprechend hoch. Genauso wie für das neue Werk des grie- chischen Regisseurs Yorgos Lanthimos, der sich mit Filmen wie „The Lobster“und „The Killing of a Sacred Deer“eine internationale Fangemeinschaft erobert hat. Ebenfalls heiß erwartet wird der neue Film des Franzosen Jacques Audiard. Sein „The Sisters Brothers“verblüfft mit der Ankündigung, dass es sich um einen Neo-Western und dazu noch um eine Komödie handelt. Beides sind für den Regisseur von „Ein Prophet“und „Dheepan“völlig neue Gebiete.
Die Highlights des Programms sind damit längst noch nicht er- schöpfend aufgezählt: Kritik und Publikum am Lido freuen sich gleichermaßen auf „Peterloo“, in dem der britische Altmeister Mike Leigh („Secrets and Lies“) die Geschichte eines staatlichen Massakers gegen Demonstranten von 1819 nachzeichnet. Und auf „Roma“, das neue Werk des Oscarpreisträgers Alfonso Cuarón, der nach dem Weltraum-Drama „Gravity“thematisch auf die Erde zurückkehrt. Der Italiener Luca Guadagnino, der mit „Call Me By Your Name“groß herauskam, sorgt bereits seit Monaten mit dem Trailer seines Remake des Asia-ArgentoHorrorfilm-Klassikers „Suspiria“für Aufregung.
Erstaunlich geringer Frauenanteil
Über ein Programm, das mit so vielen großen Namen punktet, sind die Kontroversen des Vorfelds schnell vergessen: Der Frauenanteil ist mit nur einer Regisseurin im Wettbewerb (die Australierin Jennifer Kent mit „The Nightingale“) erneut skandalös gering, wurde aber schulterzuckend hingenommen. Die Tatsache, dass im offiziellen Programm gleich sechs Netflix-Filme laufen, drei (Greengrass, Coen, Cuaron) davon im Rennen um den Goldenen Löwen – nachdem Cannes den StreamingAnbieter aus dem Wettbewerb verbannt hatte – löste schon lautere Proteste aus.
Das 75. Filmfestival von Venedig beginnt am 29. August und endet am 8. September mit der Vergabe des Goldenen Löwen. Internet: