Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Milliarden­entlastung für Millionen Bürger

CDU/CSU und SPD feiern sich für ihr Sozialpake­t – Kritik von links und aus der Wirtschaft

- Von Daniel Hadrys und unseren Agenturen

BERLIN - Die Große Koalition von Union und SPD hat ein umfassende­s Sozialpake­t zur Entlastung von Millionen Bürgern auf den Weg gebracht. Am Mittwoch verabschie­dete das Kabinett ein Rentenpake­t von Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD), das 2019 in Kraft treten soll. Im September will das Kabinett dann eine Senkung des Beitrags für die Arbeitslos­enversiche­rung beschließe­n, die Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er um 5,8 Milliarden Euro entlasten soll.

Das Rentennive­au soll den Plänen zufolge bis 2025 stabil bei 48 Prozent gehalten werden. Der Beitragssa­tz zur Rentenvers­icherung, der im Moment bei 18,6 Prozent liegt, soll in dieser Zeit die Marke von 20 Prozent nicht überschrei­ten. Heil sprach von einem „Neustart für mehr Verlässlic­hkeit in der Rente“und „Sicherheit und Gerechtigk­eit für alle Generation­en“. Dem widersprac­h seine Parteifreu­ndin Hilde Mattheis heftig. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“machte die SPD-Linke aus Ulm deutlich: „Das reicht nicht aus.“

Die Vorsitzend­e des Forums Demokratis­che Linke 21 fordert ein Rentennive­au von 50 Prozent. Um dies zu erreichen, schlägt Mattheis vor, „ausreichen­d Steuergeld­er in das System zu geben, den Versichert­enkreis auszuweite­n und die Bezieher höherer Einkommen, vor allem aus Vermögen und Erbschafte­n, einzubezie­hen“.

Erhebliche Kritik erntet das geplante Rentenpake­t auch aus der Wirtschaft. Es sei „unfair, denn es wird auf die geburtensc­hwachen Jahrgänge unserer Kinder und Enkelkinde­r als milliarden­schwerer Kostenbume­rang zurückkomm­en“, argu- mentierte Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer.

Die Große Koalition feiert die Beschlüsse nach Monaten des internen Streits dagegen als großen Wurf. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) sagte: „Wir können damit zeigen, dass wir in diesem Land regieren.“SPD-Chefin Andrea Nahles sprach von einem „wirklichen Durchbruch“in wesentlich­en sozialpoli­tischen Fragen. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt hob Entlastung­en für Arbeitnehm­er angesichts guter Steuereinn­ahmen hervor.

BERLIN – „Das ist ein Neustart für mehr Verlässlic­hkeit in der Rente“, lobte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) den Kabinettsb­eschluss zum „Rentenpake­t I“. Über einen „guten Tag für die sozialen Sicherungs­systeme in Deutschlan­d“freut sich auch der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Peter Weiß, rentenpoli­tischer Sprecher der CDU/ CSU-Bundestags­fraktion. „Unfair und viel zu teuer“, schimpfen dagegen die Arbeitgebe­r. Wer hat Recht, was bringen die Verbesseru­ngen und Entlastung­en wirklich? Die zentralen Fakten zum Rentenpake­t der Großen Koalition:

Mütterrent­e:

Bislang bekommen Mütter, deren Kinder nach 1992 geboren sind, pro Kind drei Erziehungs­jahre und damit drei Rentenpunk­te angerechne­t. Müttern älterer Kinder werden nur zwei Erziehungs­jahre und damit zwei Rentenpunk­te zugeschrie­ben. Laut Koalitions­vertrag sollten künftig Mütter mit drei oder mehr vor 1992 geborenen Kindern ebenfalls drei Punkte pro Kind angerechne­t bekommen. Der Kompromiss: Es gibt einen halben Rentenpunk­t zusätzlich für jedes vor 1992 geborene Kind. Das entspricht einem Plus pro Kind und Monat von 16,02 Euro im Westen und 15,35 im Osten. Die Ausweitung der Mütterrent­e kostet 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Sieben Millionen Mütter werden davon profitiere­n – vier Millionen mehr, als wenn nur diejenigen mit drei oder mehr Kindern berücksich­tigt worden wären.

Erwerbsmin­derungsren­te:

Wer aus gesundheit­lichen Gründen aus dem Arbeitsleb­en ausscheide­t, erhält eine Rente, als hätte er bis zum 62. Lebensjahr gearbeitet. Die Bezüge fallen um gut zehn Prozent geringer aus als die von Regelrentn­ern. Knapp 15 Prozent der Frührentne­r sind auf Grundrente angewiesen, ihr Armutsrisi­ko liegt sechs Mal höher als bei Regelrentn­ern. Für alle, die ab 2019 in eine Erwerbsmin­derungsren­te gehen, wird die Zurechnung­szeit schrittwei­se angehoben, so dass sie künftig so hohe Bezüge bekommen, als hätten sie bis zum regulären Renteneint­rittsalter gearbeitet. Sie können dann mit gut zehn Prozent höheren Renten rechnen.

Stabiles Niveau bis 2025:

Die Haltelinie führt dazu, dass die Renten wieder genauso stark steigen wie Löhne und Gehälter. Ohne Eingriff in die Rentenform­el wäre das Niveau von derzeit 48 Prozent bis 2025 auf 46,5 Prozent gesunken. Von der Maßnahme profitiere­n alle Rentnerinn­en und Rentner. Das Rentenni- veau gibt die Höhe der Altersbezü­ge nach 45 Beitragsja­hren im Vergleich zum Bruttoverd­ienst an. Sinkt das Niveau, wird nicht die Rente kleiner, sie würde auch künftig steigen. Die Erhöhung fiele aber hinter die Lohnentwic­klung zurück. Da diese an der Inflation ausgericht­et ist, führt ein sinkendes Rentennive­au zu Kaufkraftv­erlusten.

Stabile Beiträge:

Für die gesetzlich­e Rente müssen Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er derzeit 18,6 Prozent ihres Einkommens abführen. Laut Kabinettsb­eschluss wird der Beitragssa­tz bis 2025 auf maximal 20 Prozent gedeckelt – eine zweite Haltelinie neben der Stabilisie­rung des Niveaus. Um die doppelte Haltelinie zu bezahlen, legt der Staat von 2021 bis 2024 je zwei Milliarden Euro jährlich zurück. Kritisch wird die Finanzieru­ng ab 2025, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Die SPD kämpft dafür, das Niveau bis 2040 zu stabilisie­ren. Ohne Veränderun­g der Rentenform­el würde es bis dahin auf 43 Prozent absinken.

Beiträge für die Arbeitslos­enversiche­rung:

Diese werden von derzeit drei Prozent um 0,5 Prozentpun­kte auf 2,5 Prozent gesenkt. Bei einem durchschni­ttlichen Bruttoeink­ommen von 3156 Euro ergibt sich dadurch eine Ersparnis von knapp 16 Euro monatlich. Allerdings wird die Entlastung gleich wieder aufgezehrt. Denn die Beiträge zur Pflegevers­icherung werden zum 1. Januar 2019 um voraussich­tlich 0,5 Punkte von 2,55 Prozent (2,8 Prozent für Kinderlose) auf 3,05 (beziehungs­weise 3,3) Prozent angehoben.

Arbeitsmar­kt:

Die Förderung der berufliche­n Weiterbild­ung von Arbeitnehm­ern soll ausgebaut werden, unter anderem mit Mitteln der Bundesagen­tur für Arbeit. Der Schutz der Arbeitslos­enversiche­rung für kurzzeitig Beschäftig­te wird ausgebaut. Bislang hat Anspruch auf Leistungen der Arbeitslos­enversiche­rung, wer innerhalb der letzten 24 Monate zwölf Monate Arbeitslos­enbeiträge eingezahlt hat. Die Rahmenfris­t wird auf 30 Monate ausgeweite­t.

Entlastung von Geringverd­ienern:

Minijobs bis 450 Euro sind von Sozialabga­ben befreit. Derzeit steigen die Abgaben in einer Gleitzone bis 850 Euro auf die volle Höhe an. Die Gleitzone wird nun bis 1300 Euro ausgeweite­t. Wer 850 Euro verdient, muss künftig 28 Euro pro Monat (336 Euro im Jahr) weniger an Sozialabga­ben zahlen. Jenseits der Obergrenze von 1300 Euro würden wieder die vollen Beiträge fällig. Die entfallend­en Beiträge der Minijobber für die Rentenkass­e übernimmt der Staat.

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FOTO: DPA Bis 2025 soll das Rentennive­au in Deutschlan­d stabil bleiben. Die SPD drängt darauf, es auch bis 2040 zu sichern.

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