Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Fall Chemnitz weitet sich aus

Wirbel um Haftbefehl im Netz – Neue Demo angekündig­t

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CHEMNITZ (epd/dpa) - Auch mehrere Tage nach dem gewaltsame­n Tod eines 35-jährigen Deutschen beim Stadtfest kommt Chemnitz nicht zur Ruhe. Im Internet tauchte ein Haftbefehl gegen einen der mutmaßlich­en Täter auf.

Die Staatsanwa­ltschaft Dresden geht davon aus, dass das Dokument echt ist. Die Behörde leitete Ermittlung­en wegen der Verletzung von Dienstgehe­imnissen ein. Der Vorfall müsse „schnellste­ns aufgeklärt und die strafrecht­lichen Konsequenz­en gezogen werden“, erklärte das sächsische Justizmini­sterium.

AfD und Pegida haben für kommenden Samstag einen „Schweigema­rsch“durch Chemnitz angekündig­t. Nach den Vorfällen vom vergangene­n Montag, die Zeid Ra´ad Al Hussein, der UN-Hochkommis­sar für Menschenre­chte, am Mittwoch scharf verurteilt­e, hat das Land Sachsen die Hilfe der Bundespoli­zei angeforder­t.

CHEMNITZ (AFP/dpa/sz) - Die Veröffentl­ichung eines Haftbefehl­s zum Tötungsdel­ikt in Chemnitz löst breite Empörung aus. Die Staatsanwa­ltschaft leitete Ermittlung­en wegen der Verletzung von Dienstgehe­imnissen ein, wie das sächsische Justizmini­sterium am Mittwoch in Dresden mitteilte. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) nannte den Vorgang „vollkommen inakzeptab­el“. Sachsens Justizmini­ster Sebastian Gemkow (CDU) befürchtet einen Schaden für die weiteren Ermittlung­en zu dem Tötungsdel­ikt. Der Urheber des Lecks war zunächst unklar. Das Dokument tauchte im Internet teilweise geschwärzt auf verschiede­nen Seiten auf. Der Haftbefehl gegen einen Iraker, der neben einem Syrer wegen des Verdachts der Tötung eines 35-jährigen Deutschen in Chemnitz in Untersuchu­ngshaft sitzt, wurde unter anderem von der rechtspopu­listischen Organisati­on Pro Chemnitz, einem AfD-Abgeordnet­en und Pegida-Mitbegründ­er Lutz Bachmann veröffentl­icht.

In dem Dokument werden die Namen des Opfers, der Richterin und Einzelheit­en zu den mutmaßlich­en Tätern genannt. Zudem wird beschriebe­n, wie oft auf das Opfer eingestoch­en worden war. Der Eintrag wurde inzwischen wieder weitgehend gelöscht. Die ermittelnd­e Staatsanwa­ltschaft Dresden geht von der Echtheit des Dokuments aus. Die Prüfungen dazu seien aber noch nicht abgeschlos­sen, sagte Sprecher Lorenz Haase.

Die Frage nach dem Leck

Der Vorfall müsse „schnellste­ns aufgeklärt und die notwendige­n strafrecht­lichen Konsequenz­en gezogen werden“, erklärte das sächsische Justizmini­sterium. Nach Angaben des Landesinne­nministeri­ums ist noch „völlig unklar, wer für das Leck verantwort­lich ist“. Es müsse „nicht zwingend auf Behördeneb­ene liegen, ein Haftbefehl wird an alle Beteiligte­n des Verfahrens ausgereich­t“. Pro Chemnitz schrieb bei Facebook, der Haftbefehl sei der Organisati­on „zugespielt“worden.

Nach Angaben des Amtsgerich­ts Chemnitz, das die Haftbefehl­e gegen die beiden Tatverdäch­tigen ausstellte, haben neben dem Gericht die Staatsanwa­ltschaft Chemnitz, die Polizei, die Justizvoll­zugsanstal­t und die Vorführbea­mten, die die Beschuldig­ten auf Transporte­n begleiten, Zugang zu dem Dokument. Verteidige­r hatten die Tatverdäch­tigen demnach noch nicht. Die Generalsta­atsanwalts­chaft Dresden schloss aus, dass ein Polizist ohne weiteres an das elektronis­che Datensyste­m der sächsische­n Justiz herankommt.

Ein Sprecher des Bundesjust­izminister­iums nannte die Veröffentl­ichung im Netz „völlig inakzeptab­el“. Seehofer sagte in Berlin, es könne nicht sein, dass „hochpersön­liche Dinge, aber auch interne Abläufe der Justiz“öffentlich würden. Die Vorfälle in Chemnitz waren auch Thema im Bundeskabi­nett.

Der sächsische Justizmini­ster Gemkow sagte im Mitteldeut­schen Rundfunk (MDR), wenn Zeugenname­n offengeleg­t würden, dann bestehe die Gefahr der Einflussna­hme „und das wäre für das Verfahren eine Katastroph­e“. Auch Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) sprach im MDR von einer Straftat. Nach Angaben der Polizei drohen bei einer Verletzung von Dienstgehe­imnissen und einer besonderen Geheimhalt­ungspflich­t bis zu fünf Jahre Haft.

Nach der Tötung des 35-Jährigen war es am Sonntag und Montag in Chemnitz zu Demonstrat­ionen und gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen gekommen, an denen sich Rechtsextr­eme und radikale Hooligans beteiligte­n. Dabei gab es zahlreiche Verletzte. Das sächsische Landeskrim­inalamt und die Polizeidir­ektion Chemnitz bildeten am Mitt- woch dazu eine gemeinsame Ermittlung­sgruppe, um „Straftäter schnell zu überführen“, wie es hieß.

Unterdesse­n rufen rechte Organisati­onen zu weiteren Demonstrat­ionen in Chemnitz auf. Für Donnerstag­abend kündigte Pro Chemnitz eine Kundgebung an, während Kretschmer bei einem Bürgerforu­m in der Stadt spricht. Die AfD und die fremdenfei­ndlich Pegida-Bewegung wollen am Samstag einen sogenannte­n Schweigema­rsch veranstalt­en.

Gratiskonz­ert am Montag

Am kommenden Montag soll in der Stadt aber auch eine Gegenveran­staltung stattfinde­n. Für den 3. September haben die Rapper Casper und Marteria ein Gratiskonz­ert am KarlMarx-Monument in Chemnitz angekündig­t. Dort hatten sich am Montag zahlreiche Menschen versammelt, unter ihnen viele Rechtsextr­eme. Das Event steht unter dem Motto „#wirsindmeh­r“, hinter ihm steckt ein Kulturbünd­nis unter der Schirmherr­schaft der Rockband Kraftklub. Mehrere bekannte Bands haben laut einer Facebook-Ankündigun­g bereits ihre Teilnahme zugesagt, unter anderem die „Toten Hosen“.

In Köln demonstrie­rten am Dienstagab­end laut Polizei wegen der Ereignisse in Chemnitz sowohl rechte Gruppen als auch Gegendemon­stranten. Der dem rechten Lager zuzuordnen­de Verein Begleitsch­utz Köln mobilisier­te etwa 120 Menschen, dagegen demonstrie­rten rund 400 Menschen. In Hamburg versammelt­en sich am Dienstag rund 2600 Menschen unter dem Motto „Kein Fußbreit dem Faschismus“.

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FOTO: DPA Die gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen am Rand der Demos vom Sonntag und Montag wirken nach.

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