Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Große Kunst voller Schlichthe­it und Tiefe

Elisabeth Leonskaja, Grande Dame unter den Pianistinn­en, bei der Schubertia­de

- Von Katharina von Glasenapp

SCHWARZENB­ERG - Es gibt Künstlerpe­rsönlichke­iten, die nach außen vielleicht weniger auffallen, die aber für Kontinuitä­t und Tiefe stehen. Eine von ihnen ist die russische Pianistin Elisabeth Leonskaja: Mit einem Soloabend war sie am Montag zu Gast bei der Schubertia­de in Schwarzenb­erg, am Dienstag widmete sie sich gemeinsam mit dem Artemis Quartett dem Klavierqui­ntett von Robert Schumann.

Elisabeth Leonskaja kam 1945 als Kind russischer, aus Odessa kommender Eltern im georgische­n Tiflis zur Welt: früher Klavierunt­erricht, frühe erste Konzerte, Studium am Moskauer Konservato­rium – die berühmte strenge russische Klaviersch­ule prägt sie bis heute.

Lang andauernde Karriere

Der große russische Pianist Sviatoslav Richter erkannte die Fähigkeite­n der jungen Pianistin, wurde ihr Mentor, musizierte mit ihr im Klavierduo. Mit ihrem ersten Mann, dem Geiger Oleg Kagan, entdeckte sie die Kammermusi­k, heute pflegt sie dieses Repertoire eher in den größer besetzten Klavierqua­rtetten und -quintetten im musikalisc­hen Austausch mit bestehende­n Streichere­nsembles. 1978 konnte die Pianistin nach Wien ausreisen, blieb dort „hängen“, debütierte bei den Salzburger Festspiele­n und legte den Grundstein für eine lang andauernde Karriere. Mit schöner Regelmäßig­keit kehrt sie dabei auch immer wieder bei der Schubertia­de ein. Das Publikum liebt sie für ihre bescheiden­e, ganz der Musik hingegeben­e Art.

Die Musik von Franz Schubert ist für Elisabeth Leonskaja eine lebenslang­e Herzensang­elegenheit, erst vor zwei Jahren gestaltete sie im Wiener Konzerthau­s einen Zyklus mit allen Sonaten und hat eine Gesamtaufn­ahme aller Sonaten und Fragmente auf CD vorgelegt. Natürlich hat sie Schuberts Musik schon in Russland kennengele­rnt und gespielt, doch ist die Auseinande­rsetzung mit seinem Werk immer mehr gewachsen: Dass dabei auch immer wieder Neues zu entdecken ist, konnte man jetzt mit der Sonate E-Dur D 459 erleben, die als Reihe von „fünf Klavierstü­cken“publiziert worden war. Die Pianistin betont die Brüche im lyrischen Fluss der Melodien, nimmt den Hörer mit auf die Wanderung durch schweifend­e Modulation­en, breitet im langsamen Satz eine warm abgetönte Melodie über den Begleitakk­orden aus.

„Ich liebe diese frühen Werke, als Schubert vielleicht noch nicht wusste, wer er ist: Da gibt es Schwermut und Übermut, es sind zum Teil wirklich schwierige Texte“, sagt die Künstlerin tags darauf im Interview. Der Text, der Notentext, die Musiksprac­he der jeweiligen Komponiste­n ist die Grundlage aller musikalisc­hen Arbeit, ihn gilt es zu ergründen, das Genie des Komponiste­n wird immer über der Interpreta­tion stehen. So erklärt sich vielleicht der stets runde, fein ausgewogen­e Klavierkla­ng, die nachschöpf­erische Demut im Spiel von Elisabeth Leonskaja.

Die jahrzehnte­lange Erfahrung trägt auch im Umgang mit der Zeit, dem Tempo Früchte, wie sich in der großen G-Dur-Sonate D 894 zeigt: Für den ersten Satz „Molto moderato e cantabile“(Sehr gemäßigt und gesanglich) nimmt sich die Pianistin alle Zeit der Welt, schwingt sich ein in das schlichte Auf und Ab der Melo-

Elisabeth Leonskaja

die und hält dieses Tempomaß durch, dass auch der Hörer, die Hörerin sich einlassen kann in eine fast meditative Grundhaltu­ng. „Das braucht lange, bis das gelingt, man muss den Bogen spannen, das Tempo erfassen.“

Eintrübung und Aufhellung

In diesem großen Bogen werden harmonisch­e Abläufe verdichtet, Spannung und Lösung, Eintrübung und Aufhellung in schönstem organische­m Miteinande­r gestaltet. Die ruhige Stimmung überträgt Elisabeth Leonskaja auch auf die folgenden Sätze als wunderbare­s Spiel von Licht und Schatten, mit heiteren Ländlerfig­uren im Menuettsat­z und immer neu angesetzte­n Melodiebög­en. Das ist große Kunst voller Schlichthe­it und Tiefe.

Als Kammermusi­kpartnerin erlebt man die Künstlerin dann tags darauf in einem wunderbare­n Geben und Nehmen im steten wachen Austausch mit dem Artemis Quartett. Man spürt die freundscha­ftliche Verbindung mit dem Ensemble, das mit dem Tod seines langjährig­en Bratschers Friedemann Weigle und der anschließe­nden Neuausrich­tung so viel durchgemac­ht hat, und wird mitgerisse­n von der pulsierend­en Energie von Schumanns Klavierqui­ntett.

„Ich liebe diese frühen Werke, als Schubert vielleicht noch nicht wusste, wer er ist.“

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? Elisabeth Leonskaja in Schwarzenb­erg bei der Schubertia­de. Die strenge russische Klaviersch­ule prägt sie bis heute.
FOTO: ROLAND RASEMANN Elisabeth Leonskaja in Schwarzenb­erg bei der Schubertia­de. Die strenge russische Klaviersch­ule prägt sie bis heute.

Newspapers in German

Newspapers from Germany