Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie sehe ich aus?

- Von Markus Glonnegger

Maria, an die ich mich gut erinnere, saß von der fünften bis zur achten Klasse im Gymnasium drei Bänke seitlich vor mir. Aus den Augen und dem Sinn verlor ich sie, als ich eine Ehrenrunde drehte. Jüngst mailte sie mir nach knapp fünf Jahrzehnte­n. Sie wisse nicht, ob ich mich an sie erinnern könne. Aber dass ich damals ein hübscher Knabe mit blondem Haar gewesen sei, wisse sie noch ganz genau.

Ich, gutaussehe­nd? Wenn ich das nur gewusst hätte! Warum hatte sie mir das damals nicht gesagt? Auch sonst hatte einst mir gegenüber niemand etwas darüber verlauten lassen. Dabei hätte mir das gutgetan, hätte mein wegen schulische­r Erfolglosi­gkeit dauerhaft angeknacks­tes Selbstbewu­sstsein gestärkt. Vielleicht wäre sogar mein ganzes Leben anders verlaufen!

Jüngst erschrak ich bei meinem Anblick. Jemand hatte mir ein Foto gezeigt, das mich vor dem Rathaus mit der Braut im Arm zeigt. Die junge Frau strahlt mich an. Auch ich lächle, sehe aber ziemlich alt aus. Das weiße Hemd beult sich bei offenem Sakko arg. Dafür sind die Haare knapp. Dabei kam ich mir morgens bei meinem Anblick im Spiegel zu Hause deutlich jünger vor. Frisch gewaschen und rasiert und fünf, respektive zehn Jahre jünger.

Bisschen ungünstig, die Aufnahme, sagte ich zur Tochter. Und fragte die Braut, ob ich echt so aussehe wie auf dem Bild? Klar doch, Paps, sagte sie, mach dir nix draus! In deinem Alter kommt’s auf die paar „Kilochen“nicht an! „Interessan­t, wie du dich verändert hast“, sagte Maria beim ersten Date seit 45 Jahren. Was soll ich davon halten?

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