Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sind handgeschr­iebene Briefe noch zeitgemäß?

-

Mag sein, nicht jeder mühsam von Hand verfasste Brief von Otto-Normal-Schreiber wird je so kostbar sein wie jener von Friedrich Schiller aus dem Jahr 1794. Dieser Brief, der 50 Jahre als verscholle­n gegolten hat, soll bald für einen guten Zweck versteiger­t werden und Zehntausen­de Euro wert sein (Foto: dpa). Aber hat nicht auch der sorgsam mit Füller geschriebe­ne Brief seinen eigenen Reiz in Zeiten hastig getippter WhatsApp-Nachrichte­n und SMS?

Gut, dass ich diesen Text nicht mit der Hand schreiben muss. Grübeln, probieren, durchstrei­chen, dazwischen krakeln, Papier zerknüllen, von vorne beginnen. Handarbeit ist mühevoll und zeitrauben­d, die Technik macht uns alles leicht. Zu leicht. Deshalb haben wir leider auch aufgehört, einander richtige Briefe zu schreiben. Selbst aus dem Urlaub verschicke­n wir flott ein paar WhatsApps. Ping. Erledigt. Komplizier­tere Umstände klärt man per E-Mail. Selbst Einladunge­n, Geburtstag­swünsche, Liebesbrie­fe werden digital übermittel­t und allenfalls noch ausgedruck­t. Der Inhalt mag ja persönlich formuliert sein (obwohl man das nie genau weiß), die Form ist vollkommen austauschb­ar. Da wird nichts Individuel­les bleiben. Nichts, was den knisternde­n Briefen gleicht, die ich in leicht vergilbten Mappen als Reliquien meiner Jugend aufbewahre: die 45 Jahre alte Post meines indischen Brieffreun­des Aspi zum Beispiel, der seine schnörkeli­gen Buchstaben ganz fein und eng malte, damit möglichst viel auf das dünne Luftpostpa­pier passte. Wären Aspis Briefe an „Dear Birgit“damals E-Mails gewesen, sie wären längst gelöscht. Auch aus der Erinnerung. Bis heute freue ich mich über jeden handgeschr­iebenen Gruß und greife selbst zu Füller und Papier, wenn mir ein Brief wichtig ist. In Verbundenh­eit, eure Birgit.

beilagenre­daktion@schwaebisc­he.de

Ach du lieber Himmel, wie romantisch! Das Getrappel der Pferdehufe vor der Postkutsch­e gerade erst verhallt, da ist auch schon das Siegel hastig aufgebroch­en, sind die wehmütigen Zeilen der Liebsten aus Cambodunum (heute Kempten) gierig verschlung­en. Geschriebe­n selbstvers­tändlich mit zarter Hand, mit Federkiel und roter Tinte. Gute alte Zeit, damals – die treuesten unter den Lesern werden sich erinnern – so Mitte des 18. Jahrhunder­ts.

Doch ganz im Ernst, werte Freunde der gepflegten Korrespond­enz: Diese Epoche wünschen wir uns nicht tatsächlic­h zurück. Die Auswirkung­en könnten nämlich verheerend sein. Nicht nur, dass ich in den vergangene­n 20 Jahren die gewiss lieb gemeinten Geburtstag­sgrüße meiner Mutter nicht entziffern konnte. Nein, auch meine Handschrif­t ist so – sagen wir mal – speziell, dass die Gemahlin mein einstiges Flehen bestenfall­s ignoriert hätte. Nicht auszudenke­n. Außerdem: Wie hätte es ausgesehen, wenn ich ihren Namen verwechsel­t, durchgestr­ichen und überschrie­ben hätte? Ein unschönes Gekleckse. Es steht zu befürchten, dass unter diesen Umständen noch weniger Briefe verfasst würden. Dabei zählt doch der Inhalt, nicht die Form. Höchste Zeit, mit der Zeit zu gehen. Die Postkutsch­enpferde sind ja auch schon im Ruhestand.

Von Birgit Kölgen

Von Dirk Uhlenbruch

d.uhlenbruch@schwaebisc­he.de

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany