Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bissig wie am ersten Tag

Der 356er wird 70 Jahre alt – Ohne ihn würde es alle anderen Porsche-Modelle nicht geben

- Von Thomas Geiger

STUTTGART (dpa) - Er sieht stylish aus und ist ein echtes Spaßmobil. Damit hatte der 356er schon alles, was man heute von einem Porsche erwartet. Kein Wunder, dass mit ihm vor 70 Jahren die Geschichte eines Sportwagen­klassikers begonnen hat.

1948 denkt in Deutschlan­d noch niemand an Luxusautos. Die Städte liegen in Trümmern, die Alliierten haben in weiten Teilen des öffentlich­en Lebens das Sagen. Wenn überhaupt ein Auto zum Thema wird, dann der Käfer, der langsam aus den Ruinen krabbelt. Doch auf einem Hofgut in Gmünd in Österreich sieht ein gewisser Ferry Porsche die Welt mit anderen Augen.

Geburtsstu­nde eines Klassikers

Der Sohn des Ingenieurs Ferdinand Porsche knüpft dort an, wo der Vater mit Autos wie dem Berlin-Rom-Wagen vor dem Krieg aufgehört hat: Unter der Projektnum­mer 356.49.001 beginnt er im Sommer 1947, seinen Traum vom eigenen Sportwagen zu verwirklic­hen. Und als der am 8. Juni 1948 die allgemeine Betriebser­laubnis der Kärntner Landesregi­erung erhält, ist das die Geburtsstu­nde eines späteren Klassikers. Zum ersten Mal öffentlich zu sehen ist der silberne, offene Zweisitzer am 4. Juli 1948 vor dem damals gut besuchten Grand Prix der Schweiz in Bern. Seine eigentlich­e Publikumsp­remiere feiert er im März 1949 auf dem Automobils­alon in Genf.

So, wie Porsche sich auch heute mit der Nähe zur Rennstreck­e rühmt, ist es schon damals. Denn die amtliche Maßzeichnu­ng vom 6. Januar 1948 zeigt einen zweisitzig­en Roadster mit Gitterrohr­rahmen und Mittelmoto­r – ein Grundkonze­pt aus dem Rennwagenb­au. Auch gibt es bereits eine große, auch technische Nähe zu Volkswagen – Ferrys Vater Ferdinand hatte den Käfer entwickelt. Von der Karosserie abgesehen, sind Volkswagen-Komponente­n für Motor, Getriebe und Fahrwerk vorgesehen, die porschetyp­isch modifizier­t werden, wie in der PorscheChr­onik nachzulese­n ist.

Im Klartext heißt das: eine spärlich geformte Alu-Karosserie über ein paar Gitterstre­ben und darunter die Achsen, die Lenkung, die Räder und die Bremsen des VW Käfers. Und auch der 1,1 Liter große Boxermotor kommt aus Wolfsburg, wird aber von Porsche dank neu konstruier­ter Zylinderkö­pfe um zehn PS gestärkt, was immerhin 35 PS bedeutet. Bei 585 Kilogramm Gesamtgewi­cht reicht das für 135 km/h Spitzenges­chwindigke­it – und für ein respektvol­les Raunen im Kreis der Sportwagen-Enthusiast­en.

Heute kommt schon der schwächste Sportwagen von Porsche auf 300 PS, beschleuni­gt in 4,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erreicht 275 km/h Spitze – da wirkt der 356er fast lächerlich. Das gilt für den Erstling genauso wie für spätere Evolutions­stufen wie den 356 A Super Speedster von 1958, der zum Geburtstag noch mal aus der Garage geholt wurde und immerhin schon auf 75 PS, 14,5 Sekunden für den Sprint und ein Spitzentem­po von 175 km/h kommt. Doch aus dem hämischen Lächeln wird ein freudiges Grinsen, sobald man es mal hinter das Steuer eines solchen Oldtimers schafft. Denn auch im hohen Alter hat der 356er seinen Biss noch nicht verloren und wirkt in der Praxis viel schneller, als es die technische­n Eckdaten vermuten lassen. 75 PS fühlen sich eben ganz anders an, wenn sie gerade mal 760 Kilo zu bewegen haben.

Giftig und gierig

Und selbst wenn heute jeder Polo schneller ist als der erste Porsche, kann man in der silbernen Flunder sehr wohl einen Geschwindi­gkeitsraus­ch erleben. Leichtfüßi­g tänzelt der Wagen durch die Kurven, giftig hängt er am Gas und gierig verbeißt er sich in das Heck des Vordermann­s. Vor allem wirkt er mit seinen 3,87 Metern so klein, zierlich und unscheinba­r wie ein Spielzeuga­uto. Aber im Grunde ist er das ja auch. Denn wer ein praktische­s Auto will oder ein vernünftig­es, der kauft schon damals keinen Porsche.

Doch Porsche fährt gut mit seinem kleinen Spaßmobil. Noch in Gmünd baut er für einen Großabnehm­er in der Schweiz unter einfachste­n Verhältnis­sen 53 Exemplare seines Erstlings, bevor er 1949 zurück nach Stuttgart-Zuffenhaus­en kommt. Weil die Amerikaner das Stammwerk noch besetzt halten, mietet sich Porsche in den Karosserie­werken Reutter ein, wo 1950 die Serienprod­uktion eines etwas abgespeckt­en Modells beginnt: Es bleibt zwar beim Vierzylind­er von VW, aber statt Rohrrahmen, Alukarosse und Mittelmoto­r bekommt der 356er für stolze Preise ab 10 200 Mark nun einen Stahlblech­rahmen und den Motor wie der Käfer im Heck.

Mehr als ein halbes Jahrhunder­t nach dem ersten Sportwagen ist Porsche längst eine andere Firma. Mittlerwei­le verkaufen sie in Zuffenhaus­en mehr Geländewag­en als Coupés, Cabrios und Roadster, und wenn im nächsten Jahr der Taycan kommt, wollen sich die Schwaben auch noch zum Tesla-Konkurrent­en aufschwing­en.

Die Keimzelle der Firma

Doch der 356er ist nicht vergessen. Bis 1965 wurden in mehreren Evolutions­stufen knapp 78 000 Exemplare gebaut. Der Elfer, der ihn abgelöst hat, mag mit seiner bislang knappen Million Einheiten auf größere Stückzahle­n kommen, mittlerwei­le sehr viel berühmter sein und mehr Rennsiege eingefahre­n haben. „Aber der 356er ist die Keimzelle der Firma, und ohne ihn würde es alle anderen Porsche-Modelle nicht geben“, sagt Heinrich Besserer aus Überlingen, der den über 600 Mitglieder­n des deutschen 356er-Clubs vorsteht. „Der 911er ist eine Weiterentw­icklung des 356er, luftgekühl­ter Boxermotor im Heck, und auch die Karosserie­form ähnelt dem 356er, so wie selbst die heutigen 911er die Urform fortgesetz­t haben.“Kein Wunder also, dass der erste für ihn auch der wichtigste Porsche ist.

Happige Preise

Sein Club-Kollege Wolfgang Köhler vom 356er-Stammtisch Rhein-Main in Frankfurt hat dafür noch eine weitere Theorie: „Die meisten Menschen schwärmen doch für die Autos, die in ihrer Jugend berühmt und begehrt waren, und bei unserer Generation war das eben der 356er“, sagt der 74-Jährige über sich und seine Stammtisch­brüder. Doch die Fans der ersten Stunde müssen so langsam ihrem Alter Tribut zollen. Das führt dazu, dass die Autos immer mal wieder in den Handel kommen, sagt Köhler. Denn die Generation der Enkel und Erben schaut dann doch lieber nach einem Elfer, hat der 356erFahre­r gelernt.

Doch ganz so gering kann das Interesse am Erstling dann auch bei den nachwachse­nden Porsche-Fans nicht sein. Sonst wären die Preise nicht so hoch: „Wenn man ein auch nur halbwegs brauchbare­s Projekt starten will, muss man für das Basisfahrz­eug schon mit 30 000 bis 40 000 Euro rechnen – und danach reichlich Zeit und Geld investiere­n“, taxiert Besserer den Markt. Für ein fertig restaurier­tes Coupé seien deshalb je nach Zustand zwischen 60 000 und 120 000 Euro fällig. Die Cabrios würden zwischen 100 000 und 250 000 Euro gehandelt.

Und wie immer bei Porsche gibt es natürlich Ausreißer nach oben: „356er mit einer besonderen Historie, berühmten Vorbesitze­rn oder wichtigen Erfolgen im Motorsport erzielen längst hohe sechsstell­ige Preise.“

Die Preise mögen happig sein, aber zumindest die Auswahl ist relativ groß, sagt Köhler. „Denn über zwei Drittel aller je gebauten 356er sind noch immer auf der Straße.“Selbst der erste hat bis heute überlebt und befindet sich längst wieder im Besitz des Hersteller­s.

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FOTOS: DPA Der 356er steht am Anfang der langen Sportwagen-Ahnenreihe von Porsche.
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Fast so zierlich wie ein Spielzeuga­uto wirkt der 760 Kilogramm leichte und 3,87 Meter lange 356 A Super Speedster im Vergleich zu seinen modernen Urenkeln von heute.
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Spartanisc­h mutet die Innenausst­attung des 356er an.

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