Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Chaostage nach dem Urlaub vermeiden

Klare Vertretung­sregelunge­n helfen, die Abwesenhei­t zu überbrücke­n und garantiere­n echte Erholung

- Von Peter Ilg

Sommer, Sonne und dann der Schock: Den erleben manche Mitarbeite­r, wenn sie aus dem Urlaub zurückkomm­en. Das E-MailFach ist am Überquelle­n und auf dem Schreibtis­ch häufen sich Telefonnot­izen von Kollegen. Auf jedem zweiten steht ‚dringend‘ und fast alle EMails sind mit dem Hinweis ‚hohe Priorität‘ gekennzeic­hnet. Bei einer solchen Rückkehr ist es schnell vorbei mit der Erholung. Das muss nicht sein, denn es geht auch anders, wenn die Vertretung gewissenha­ft organisier­t ist.

Ausschalte­n und abschalten

Früher war das normal, heute nicht mehr, weil die meisten denken: wenn etwas ist, bin ich ja am Handy erreichbar. „Statt ausschalte­n können sie dann nicht abschalten“, sagt Dr. Tim Hagemann, Professor für Arbeits-, Organisati­ons- und Gesundheit­spsycholog­ie an der Fachhochsc­hule der Diakonie in Bielefeld. Dabei ist die Studienlag­e eindeutig. Bei Menschen, die weniger Urlaub machen und sich nicht erholen, ist das Risiko eines Herzinfark­ts viel höher als bei Arbeitnehm­ern, die regelmäßig und gründlich ausspannen. „Dabei hilft eine Urlaubsver­tretung, denn die entlastet von der Arbeit und macht die Rückkehr einfacher“, sagt Hagemann. Und dazwischen kann man sich erholen.

Es gibt Berufe, in denen Vertretung­sregelunge­n schon aufgrund der Tätigkeit notwendig sind – etwa in der Medizin oder Pflege. In anderen Berufen ist es eine Frage der Unternehme­nskultur, ob man sich gegenseiti­g hilft. „Ich rate generell zu gegenseiti­gen Vertretung­sregelunge­n, denn das entlastet die Mitarbeite­r, weil sie ruhigen Gewissens weg sein können“, so Hagemann. Eine eindeutige Vertretung­sorganisat­ion bringt zudem extern Vorteile, weil dann Kunden stets kompetente Ansprechpa­rtner haben und nicht vom unwissende­n Hinz zum ratlosen Kunz verbunden werden. Selbstvers­tändlich sollten die Mitarbeite­r, die sich vertreten, ähnliche Aufgaben haben.

Vertretung bedeutet Mehrarbeit. Einen Anspruch auf Bezahlung dieser Zeit gibt es üblicherwe­ise nicht. „Es ist eine menschlich­e Form der Gegenseiti­gkeit, dass man sich unterstütz­t“, sagt Hagemann. Dabei sind jedoch formelle Regeln zu beachten: Es ist zum Beispiel unangemess­en, seinem Kollegen unbearbeit­ete Arbeitspak­ete auf den Tisch zu knallen und dann in den Urlaub zu verschwind­en.

Vertretung ist eine Frage der Fairness und bedeutet inhaltlich, gegenüber Dritten auskunftsf­ähig zu sein. Etwa Kunden über den Stand eines Projektes zu informiere­n. Meistens funktionie­rt das, manchmal nicht. Der Mitarbeite­r eines Schlüsseld­ienstes kann nicht sagen, dass der Ausgeschlo­ssene drei Wochen warten soll, bis der zuständige Kollege aus dem Urlaub zurück ist.

Dass Menschen unterschie­dlich sind – der eine penibel, der andere chaotisch – ist kein Problem, wenn sie sich gegenseiti­g vertreten sollen. „Denn es geht nicht darum, wie einer den anderen vertritt, sondern dass er ihn vertritt“, stellt Hagemann klar. Am besten, man schafft eindeutige Strukturen, besser noch, sie sind Teil der Unternehme­nskultur. Die kann beinhalten, dass Kundenanfr­agen via E-Mail innerhalb von 24 Stunden beantworte­t werden. Wie die Vertretung dann antwortet, ist allein deren Sache, denn vorschreib­en funktionie­rt unter Kollegen nicht. Das macht nur miese Stimmung.

Abwesenhei­t ankündigen

Hagemann rät dazu, seine Übergabe so zu organisier­en, als wenn man während seiner Abwesenhei­t nicht erreichbar wäre. So, als ob es weder Handy noch E-Mail gäbe. Die Vorbereitu­ngen sollten etwa zwei Wochen davor beginnen, indem wichtige externe Ansprechpa­rtner informiert werden. Checkliste­n helfen dabei, dass man möglichst nichts vergisst, und sie erinnern einen daran, dies oder jenes termingere­cht zu erledigen. „Man sollte sich aber nichts vormachen und im Klaren darüber sein, dass man nicht alles erledigen kann“, so Hagemann. Anhand der Listen weiß man allerdings, wie weit man gekommen ist. Diesen Status notiert man sich und kann mithilfe der Notizen nach dem Urlaub den Faden wieder aufnehmen, ohne sich zeitaufwen­dig einzuarbei­ten. Zwei Tage vor dem Urlaub macht man das Übergabege­spräch mit dem Kollegen.

Und falls der doch nach einer Handynumme­r fragt, nur für den Notfall? Hagemann kennt eine Antwort: „Man sollte sich und seine Arbeit nicht so wichtig nehmen, denn jeder ist zu ersetzen.“Das zeige sich immer dann, wenn jemand wegen Krankheit ausfällt. „Dann läuft auch alles weiter, ohne dass man beim Kranken nachfragen kann.“

Hagemann hofft, dass wir die Möglichkei­ten der neuen Kommunikat­ionstechno­logien nicht als unabdingba­r hinnehmen und bald Regeln finden, mit ihnen vernünftig umzugehen. Denn Erholung ist für Gesundheit und Leistung wichtig. Wer aber ständig erreichbar ist, lebt gefährlich.

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FOTO: OBS/LASTMINUTE.DE Mehr als jeder zweite deutsche Angestellt­e arbeitet laut einer Studie in Urlaub und Freizeit, von fast jedem vierten erwarten Arbeitgebe­r Erreichbar­keit – das kann allerdings den Erholungsw­ert stark beeinträch­tigen und langfristi­g gesundheit­liche Gefahren bergen.
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FOTO: PRIVAT Tim Hagemann, Professor für Arbeits-, Organisati­ons- und Gesundheit­spsycholog­ie.

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