Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Patriziergesellschaft „Zum Esel“wurde vor 200 Jahren aufgelöst
Anmerkungen zum Ende einer exklusiven und privilegierten Vereinigung
RAVENSBURG - Der seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert in der Reichsstadt Ravensburg geltende „Zunftzwang“hatte zur Folge, dass sich nicht nur alle Handwerker einer der schließlich acht Zunftvereinigungen anzuschließen hatten, sondern sich auch die vornehmsten Ravensburger Familien, die ehemaligen Ministerialen sowie die Groß- und Fernhändler, die in der Patriziergesellschaft „Zum Esel“vereinigten. Die Herkunft des Namens soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.
Ihre erste Ordnung gab sich die Gesellschaft im Jahre 1397. Unter den damals mehr als 60 Mitgliedern finden sich die Namen so bekannter Familien wie Humpis, Mötteli, von Neidegg, Holbein, Ankenreute oder Gäldrich. Auch in einigen benachbarten Reichsstädten wurden in jener Zeit ähnliche Patriziergesellschaften gegründet, so jene „Zur Katz“in Konstanz, „Zum Sünfzen“in Lindau oder „Zum Goldenen Löwen“in Memmingen.
Hatten die Ravensburger Handwerkerzünfte zu jener Zeit beträchtlichen Einfluss bei der Wahl der Mitglieder von Rat und Gericht, so die Patrizier bei der Besetzung der kommunalen Führungsämter. Nicht nur das Ende der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft um 1530, sondern auch die 1544/45 eingeführte Reformation und weitere politische Umbrüche jener Zeit ließen zahlreiche Patrizier samt ihrem Kapital aus der Stadt abwandern und teils zum Landadel übertreten. Neuaufgenommene konnten diesen Verlust nur teilweise ausgleichen. Auf der anderen Seite stärkte die Verfassungsänderung Kaiser Karls V. im Jahre 1551 die politische Stellung des Patriziats in der Stadt deutlich.
Aderlass im 30-jährigen Krieg
Der 30-jährige Krieg (1618-1648) führte dann zu einem weiteren Aderlass, da eine größere Zahl von Patriziern starb (Pestepidemie 1635), andere wiederum die Stadt verließen. Eine neuerliche Verfassungsänderung, der „Lindauer Rezess“von 1649, sah vor, dass von den nun 16 Ratsmitgliedern die Hälfte aus dem Kreis des Patriziats kommen sollte, was aber, vor allem infolge der geringen Zahl von evangelischen Patriziern in der konfessionell paritätisch verfassten Reichsstadt, oftmals nicht ganz eingehalten werden konnte.
Die politisch wichtigsten Ämter, die jeweils zwei, sich nun alle vier Monate in der Amtsführung abwechselnden Bürgermeister und Stadtammänner (Gerichtspräsidenten), blieben im Regelfall ausschließlich den Patriziern vorbehalten. Auch sonst genossen sie verschiedene Privilegien, sie waren von Wacht- und Frondiensten befreit, hatten in Kriegszeiten zumeist keine Einquartierungen zu ertragen und nahmen bei städtischen Festen eine Vorrangstellung ein. Seit dem beginnenden 17. Jahrhundert berechtigte allein der Nachweis eines – gegebenenfalls beim Kaiser erworbenen – Adelsdiploms zur Aufnahme in die Eselsgesellschaft, die in der Folgezeit denn auch als „Adelige Gesellschaft“bezeichnet wurde.
Im traditionsreichen und sinnigerweise direkt gegenüber dem Rathaus gelegenen Haus der Gesellschaft mit der Trinkstube (Marktstraße 1, heute Drogeriemarkt Müller) wurde die exklusive und standesbewusste Geselligkeit gepflegt, aber natürlich auch Politik gemacht. Während die Mitgliedschaft des ältesten Sohnes eines Patriziers frei war, hatten andere „standesgemäße“, mit Stimmenmehrheit aufgenommene Neumitglieder eine Beitrittsgebühr zu entrichten. Jeder „Neue“hatte unter anderem ein gemeinsames Festessen zu spendieren und sein Familienwappen auf eine repräsentative Holztafel aufmalen zu lassen.
Maskenbälle, Theater- und Musikaufführungen
Neben den regelmäßigen Zusammenkünften mit Umtrunk fanden immer wieder besondere Festivitäten – zum Beispiel Maskenbälle mit Gästen in der Fastnachtszeit – und auch Theater- und Musikaufführungen statt. 1744 zum Beispiel wurde ein Billardtisch und später auch modische Spiele wie Tarock und Piquet angeschafft, 1754 erfährt man von einer gemeinsamen winterlichen Schlittenpartie; gelegentlich wurden die Äbte der benachbarten Klöster Weingarten und Weißenau als Gäste eingeladen. Das Innere des Gesellschaftshauses wurde dem Zeitgeschmack entsprechend barock umgestaltet. Die Zeit der Revolutionskriege am Ende des 18. Jahrhunderts führte noch einmal prominente Besucher in das Gesellschaftshaus in der Marktstraße: 1797 trafen sich hohe Repräsentanten des Schwäbischen Kreises drei Tage lang in Ravensburg, um militärische Angelegenheiten zu beraten. Jeden Abend wurden die Gäste, darunter der kaiserliche Minister Graf von Fugger, der kaiserliche Generalmajor von Kienmayer, sowie der Graf von Waldburg-Zeil-Wurzach in die Trinkstube zu „Spiel und Diseurs“eingeladen, in den festlich beleuchteten Räumen reichten die Patrizier Wein, Brot und Käse.
Gegen Ende der reichsstädtischen Zeit wurde die grotesk überproportionale Vertretung der wenigen Patrizier im politischen System zunehmend kritisch gesehen und nicht zuletzt von der aufstrebend-dynamischen, bürgerlichen und mehrheitlich evangelischen Schicht der Kaufleute und Händler in Frage gestellt. Nach der Mediatisierung der Reichsstadt Ravensburg (1802) machte die neue bayerische Landesherrschaft der überlebten, verfassungsrechtlich festgelegten Privilegierung der Patrizier bei der Besetzung der Ratsstellen und bedeutenden Ämter schließlich ein Ende.
In Zukunft sollten diese Posten möglichst ohne Rücksicht auf Herkunft und Stand vergeben werden. Dennoch waren in dem von Bayern neu eingerichteten fünfköpfigen Verwaltungsrat mit dem katholischen Bürgermeister Joseph Emanuel von Ortlieb und Jakob Wilhelm von Furtenbach noch immer zwei und im nunmehr dreiköpfigen Stadtgericht mit Johann Baptist von Knoll noch ein Patrizier vertreten. Der erfahrene, ja offenbar als unverzichtbar geltende Jurist von Ortlieb blieb auch noch nach dem Übergang der Stadt 1810 an Württemberg Bürgermeister und Mitglied im neu geschaffenen Magistrat.
1804 gab es nur noch neun Mitglieder
Die „Gesellschaft zum Esel“, die 1740 noch 15 Mitglieder gezählt hatte, bestand 1804 aus nur noch neun Patriziern, von denen sechs in Ravensburg lebten. Die weiteren Perspektiven dieser zusammengeschrumpften und ausgezehrten Vereinigung waren düster, denn die Mehrheit der ohnehin schon wenigen Mitglieder war ohne männliche Nachkommen oder unverheiratet. Angesichts dieser Lage und dem Verlust der bisherigen Privilegien wurde schon 1804 über eine Auflösung der „Gesellschaft zum Esel“diskutiert, die schließlich 1813 von den Mitgliedern förmlich beschlossen wurde.
Fünf Jahre später war es dann soweit: das traditionsreiche Gesellschaftshaus in der Marktstraße wurde für 3300 Gulden an den Textilkaufmann Lorenz Prager verkauft, der mit seinem Laden im Erdgeschoss bereits in den vergangenen Jahren in Miete gewesen war, der Erlös und das übrige noch vorhandene Vermögen mit Zustimmung von Regierung und Stadt zu gleichen Teilen unter den nun noch drei Patriziern (von Ortlieb, von Beck und von Zelling) sowie zwei anspruchsberechtigten Witwen (von Bentele und von Welz) verteilt.
Als letztes Mitglied der früheren „Gesellschaft zum Esel“starb 1845 Leonhard von Beck, einst Obervogt der Reichfreiherren von Weiden, im Alter von 86 Jahren in Laupheim.