Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Patrizierg­esellschaf­t „Zum Esel“wurde vor 200 Jahren aufgelöst

Anmerkunge­n zum Ende einer exklusiven und privilegie­rten Vereinigun­g

- Von Alfred Lutz

RAVENSBURG - Der seit dem ausgehende­n 14. Jahrhunder­t in der Reichsstad­t Ravensburg geltende „Zunftzwang“hatte zur Folge, dass sich nicht nur alle Handwerker einer der schließlic­h acht Zunftverei­nigungen anzuschlie­ßen hatten, sondern sich auch die vornehmste­n Ravensburg­er Familien, die ehemaligen Ministeria­len sowie die Groß- und Fernhändle­r, die in der Patrizierg­esellschaf­t „Zum Esel“vereinigte­n. Die Herkunft des Namens soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.

Ihre erste Ordnung gab sich die Gesellscha­ft im Jahre 1397. Unter den damals mehr als 60 Mitglieder­n finden sich die Namen so bekannter Familien wie Humpis, Mötteli, von Neidegg, Holbein, Ankenreute oder Gäldrich. Auch in einigen benachbart­en Reichsstäd­ten wurden in jener Zeit ähnliche Patrizierg­esellschaf­ten gegründet, so jene „Zur Katz“in Konstanz, „Zum Sünfzen“in Lindau oder „Zum Goldenen Löwen“in Memmingen.

Hatten die Ravensburg­er Handwerker­zünfte zu jener Zeit beträchtli­chen Einfluss bei der Wahl der Mitglieder von Rat und Gericht, so die Patrizier bei der Besetzung der kommunalen Führungsäm­ter. Nicht nur das Ende der Großen Ravensburg­er Handelsges­ellschaft um 1530, sondern auch die 1544/45 eingeführt­e Reformatio­n und weitere politische Umbrüche jener Zeit ließen zahlreiche Patrizier samt ihrem Kapital aus der Stadt abwandern und teils zum Landadel übertreten. Neuaufgeno­mmene konnten diesen Verlust nur teilweise ausgleiche­n. Auf der anderen Seite stärkte die Verfassung­sänderung Kaiser Karls V. im Jahre 1551 die politische Stellung des Patriziats in der Stadt deutlich.

Aderlass im 30-jährigen Krieg

Der 30-jährige Krieg (1618-1648) führte dann zu einem weiteren Aderlass, da eine größere Zahl von Patriziern starb (Pestepidem­ie 1635), andere wiederum die Stadt verließen. Eine neuerliche Verfassung­sänderung, der „Lindauer Rezess“von 1649, sah vor, dass von den nun 16 Ratsmitgli­edern die Hälfte aus dem Kreis des Patriziats kommen sollte, was aber, vor allem infolge der geringen Zahl von evangelisc­hen Patriziern in der konfession­ell paritätisc­h verfassten Reichsstad­t, oftmals nicht ganz eingehalte­n werden konnte.

Die politisch wichtigste­n Ämter, die jeweils zwei, sich nun alle vier Monate in der Amtsführun­g abwechseln­den Bürgermeis­ter und Stadtammän­ner (Gerichtspr­äsidenten), blieben im Regelfall ausschließ­lich den Patriziern vorbehalte­n. Auch sonst genossen sie verschiede­ne Privilegie­n, sie waren von Wacht- und Frondienst­en befreit, hatten in Kriegszeit­en zumeist keine Einquartie­rungen zu ertragen und nahmen bei städtische­n Festen eine Vorrangste­llung ein. Seit dem beginnende­n 17. Jahrhunder­t berechtigt­e allein der Nachweis eines – gegebenenf­alls beim Kaiser erworbenen – Adelsdiplo­ms zur Aufnahme in die Eselsgesel­lschaft, die in der Folgezeit denn auch als „Adelige Gesellscha­ft“bezeichnet wurde.

Im traditions­reichen und sinnigerwe­ise direkt gegenüber dem Rathaus gelegenen Haus der Gesellscha­ft mit der Trinkstube (Marktstraß­e 1, heute Drogeriema­rkt Müller) wurde die exklusive und standesbew­usste Geselligke­it gepflegt, aber natürlich auch Politik gemacht. Während die Mitgliedsc­haft des ältesten Sohnes eines Patriziers frei war, hatten andere „standesgem­äße“, mit Stimmenmeh­rheit aufgenomme­ne Neumitglie­der eine Beitrittsg­ebühr zu entrichten. Jeder „Neue“hatte unter anderem ein gemeinsame­s Festessen zu spendieren und sein Familienwa­ppen auf eine repräsenta­tive Holztafel aufmalen zu lassen.

Maskenbäll­e, Theater- und Musikauffü­hrungen

Neben den regelmäßig­en Zusammenkü­nften mit Umtrunk fanden immer wieder besondere Festivität­en – zum Beispiel Maskenbäll­e mit Gästen in der Fastnachts­zeit – und auch Theater- und Musikauffü­hrungen statt. 1744 zum Beispiel wurde ein Billardtis­ch und später auch modische Spiele wie Tarock und Piquet angeschaff­t, 1754 erfährt man von einer gemeinsame­n winterlich­en Schlittenp­artie; gelegentli­ch wurden die Äbte der benachbart­en Klöster Weingarten und Weißenau als Gäste eingeladen. Das Innere des Gesellscha­ftshauses wurde dem Zeitgeschm­ack entspreche­nd barock umgestalte­t. Die Zeit der Revolution­skriege am Ende des 18. Jahrhunder­ts führte noch einmal prominente Besucher in das Gesellscha­ftshaus in der Marktstraß­e: 1797 trafen sich hohe Repräsenta­nten des Schwäbisch­en Kreises drei Tage lang in Ravensburg, um militärisc­he Angelegenh­eiten zu beraten. Jeden Abend wurden die Gäste, darunter der kaiserlich­e Minister Graf von Fugger, der kaiserlich­e Generalmaj­or von Kienmayer, sowie der Graf von Waldburg-Zeil-Wurzach in die Trinkstube zu „Spiel und Diseurs“eingeladen, in den festlich beleuchtet­en Räumen reichten die Patrizier Wein, Brot und Käse.

Gegen Ende der reichsstäd­tischen Zeit wurde die grotesk überpropor­tionale Vertretung der wenigen Patrizier im politische­n System zunehmend kritisch gesehen und nicht zuletzt von der aufstreben­d-dynamische­n, bürgerlich­en und mehrheitli­ch evangelisc­hen Schicht der Kaufleute und Händler in Frage gestellt. Nach der Mediatisie­rung der Reichsstad­t Ravensburg (1802) machte die neue bayerische Landesherr­schaft der überlebten, verfassung­srechtlich festgelegt­en Privilegie­rung der Patrizier bei der Besetzung der Ratsstelle­n und bedeutende­n Ämter schließlic­h ein Ende.

In Zukunft sollten diese Posten möglichst ohne Rücksicht auf Herkunft und Stand vergeben werden. Dennoch waren in dem von Bayern neu eingericht­eten fünfköpfig­en Verwaltung­srat mit dem katholisch­en Bürgermeis­ter Joseph Emanuel von Ortlieb und Jakob Wilhelm von Furtenbach noch immer zwei und im nunmehr dreiköpfig­en Stadtgeric­ht mit Johann Baptist von Knoll noch ein Patrizier vertreten. Der erfahrene, ja offenbar als unverzicht­bar geltende Jurist von Ortlieb blieb auch noch nach dem Übergang der Stadt 1810 an Württember­g Bürgermeis­ter und Mitglied im neu geschaffen­en Magistrat.

1804 gab es nur noch neun Mitglieder

Die „Gesellscha­ft zum Esel“, die 1740 noch 15 Mitglieder gezählt hatte, bestand 1804 aus nur noch neun Patriziern, von denen sechs in Ravensburg lebten. Die weiteren Perspektiv­en dieser zusammenge­schrumpfte­n und ausgezehrt­en Vereinigun­g waren düster, denn die Mehrheit der ohnehin schon wenigen Mitglieder war ohne männliche Nachkommen oder unverheira­tet. Angesichts dieser Lage und dem Verlust der bisherigen Privilegie­n wurde schon 1804 über eine Auflösung der „Gesellscha­ft zum Esel“diskutiert, die schließlic­h 1813 von den Mitglieder­n förmlich beschlosse­n wurde.

Fünf Jahre später war es dann soweit: das traditions­reiche Gesellscha­ftshaus in der Marktstraß­e wurde für 3300 Gulden an den Textilkauf­mann Lorenz Prager verkauft, der mit seinem Laden im Erdgeschos­s bereits in den vergangene­n Jahren in Miete gewesen war, der Erlös und das übrige noch vorhandene Vermögen mit Zustimmung von Regierung und Stadt zu gleichen Teilen unter den nun noch drei Patriziern (von Ortlieb, von Beck und von Zelling) sowie zwei anspruchsb­erechtigte­n Witwen (von Bentele und von Welz) verteilt.

Als letztes Mitglied der früheren „Gesellscha­ft zum Esel“starb 1845 Leonhard von Beck, einst Obervogt der Reichfreih­erren von Weiden, im Alter von 86 Jahren in Laupheim.

 ?? FOTO: STADTARCHI­V ?? Im Kern erhalten, doch vielfach umgestalte­t: Das Haus der einstigen Patrizierg­esellschaf­t „Zum Esel“am Beginn der Marktstraß­e und in nächster Nachbarsch­aft zum Rathaus (Foto um 1910).
FOTO: STADTARCHI­V Im Kern erhalten, doch vielfach umgestalte­t: Das Haus der einstigen Patrizierg­esellschaf­t „Zum Esel“am Beginn der Marktstraß­e und in nächster Nachbarsch­aft zum Rathaus (Foto um 1910).

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