Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Auf dem Kopfsteinpflaster fliegt Liane Lippert davon
Radfahrerin aus Friedrichshafen gewinnt die viertägige Belgien-Rundfahrt
FRIEDRICHSHAFEN (sz) - 2018 bleibt für Liane Lippert ein traumhaftes Jahr. Nachdem die 20-jährige Radfahrerin aus Friedrichshafen Anfang Juli zum ersten Mal Deutsche Meisterin im Straßenrennen wurde, hat sie sich nun auch den Gesamtsieg bei der Belgien-Rundfahrt gesichert. Nach dem Prolog und drei Etappen schloss die vom RSV Seerose Friedrichshafen hervorgegangene Radrennfahrerin die Lotto Belgium Tour sowohl in der Nachwuchs- als auch in der Gesamtwertung auf dem ersten Platz ab.
Auf der letzten Etappe ließ Lippert die bis dahin sieben vor sich liegenden Fahrerinnen hinter sich und schob sich an ihnen vorbei auf den ersten Platz vor. Insgesamt waren 127 Radfahrerinnen, organisiert in 21 Profiteams und Nationalmannschaften in Belgien angetreten. Die Lotto Belgium Tour ist ein Radrennen der Kategorie 2.1, sprich ein Etappenrennen der zweithöchsten Kategorie, nur große Rundfahrten wie der Giro d’Italia Femminile oder die Kalifornien-Rundfahrt oder die Tour of Norway sind noch eine Kategorie höher eingestuft.
Liane Lippert wurde in Belgien von Bundestrainer André Korff als Leaderin eingesetzt. Ein Anspruch, dem sie, wie ihr Team mitteilt, mehr als gerecht werden sollte. Gewohnt, strikt nach Stallorder zu fahren, bekam die 20-Jährige in Belgien die Gelegenheit, alle Rennen selbst zu gestalten. Bereits den Prolog im Einzelzeitfahren schloss die Sunweb-Fahrerin auf Platz sechs ab.
Nach den folgenden zwei Etappen stand sie im Gesamtklassement auf Platz sechs, in der Nachwuchswertung auf Platz zwei. Der schwere Rundkurs über 115 Kilometer führte in der Schlussetappe über die Muur van Geraardsbergen, eine berühmtberüchtigte, grob gepflasterte schmale Straße, die eine maximale Steigung von 20 Prozent aufweist und die etwa auch die Männer bei der legendären Flandern-Rundfahrt entlangfahren müssen.
Lippert brilliert auf berüchtigter Muur van Geraardsbergen
Ideales Terrain für Liane Lippert, um hier ihre exzellenten Kletterfähigkeiten auszuspielen. Die Fahrerinnen hatten das Steilstück der Muur dreimal zu durchfahren. Nach den ersten zwei Durchfahrten kämpften 20 Fahrerinnen um den Sieg. Danach folgte die Einfahrt in die abschließende Runde. Es war Liane Lippert, die sofort die Initiative ergriff. Nur die französische Meisterin, Aude Biannic, konnte Lipperts Attacke folgen. Beide erreichten die Kuppe mit 40 Sekunden Vorsprung auf die Verfolgerinnen.
500 Meter vor dem Zielstrich fiel die Entscheidung. Lippert setzte die finale Attacke, der die Französin nichts mehr entgegensetzen konnte. Der Solosieg brachte Lippert dank Zeitbonifikation den Gesamtsieg der Belgien-Rundfahrt sowie das Trikot der besten Nachwuchsfahrerin. „Ich bin wohl punktgenau auf dem Höhepunkt meines sportlichen Jahres“, freute sich Liane Lippert.
„Es werden Rennen kommen, bei denen ich zeigen kann, was ich draufhabe.“
Marco Mathis über seine Zukunft
Dazu kamen atmosphärische Störungen innerhalb der Mannschaft. Teamchef Dimitri Konyschew warf Kittel während der Tour de France Egoismus und fehlende Effektivität vor. Nach seinen fünf Etappensiegen bei der Tour 2017 war Kittel mit großen Erwartungen – und für viel Geld – zum Schweizer Rennstall KatushaAlpecin gewechselt. Doch die Erfolge blieben aus, die Stimmung wurde schlechter.
Auch die Bahn war eine Option
Darunter litt auch Mathis. „Wir Fahrer haben versucht, die schlechte Stimmung nicht an uns heranzulassen“, meint der 24-Jährige. Doch es rumorte dauerhaft, Kittel beendete vorzeitig seine Saison, Martin gab früh seinen Wechsel zur neuen Saison zu Lotto bekannt. Sponsoren erwarteten Ergebnisse, Talente wie Mathis bekamen kaum Freiheiten, sich bei größeren Rennen ins Rampenlicht zu fahren. Auch wenn daher die ganz großen Ergebnisse ausgeblieben sind, war und ist Mathis mit seiner Saison 2018 zufrieden. „Ich habe mich verbessert.“Bei der BelgienTour wurde er auf der dritten Etappe Zweiter, bei der deutschen Meisterschaft im Zeitfahren Siebter, 14. war er bei der Europameisterschaft. „Ich war mir aber sicher, dass ich einen neuen Weg einschlagen musste.“Es gab auch Überlegungen, zurück auf die Bahn zu wechseln und die Olympischen Spiele 2020 in Tokio ins Visier zu nehmen. 2016 wurde er neben Zeitfahr-Weltmeister auch deutscher Meister in der Einerverfolgung, in der Mannschaftsverfolgung und im Mannschaftszeitfahren. Die Entscheidung war aber, es weiter als Profi auf der Straße zu versuchen. Cofidis habe sich sehr um ihn bemüht, freut sich Mathis. Die Franzosen waren offenbar angetan von den Sprintfähigkeiten des jungen Tettnangers. „Er ist ein großes Talent“, sagte der französische Teamchef Cedric Vasseur. So wird Mathis in der kommenden Saison der erste deutsche Radprofi, der jemals für Cofidis gefahren ist. „Jetzt muss er sich beweisen“, weiß Richard Dämpfle, Teamchef des bärenstarken Mountainbiketeams Centurion Vaude und langjähriger Wegbegleiter in Mathis’ Radsportkarriere. „Der Wechsel ist eine große Chance für ihn, wir freuen uns sehr.“
Für zwei Jahre hat Mathis bei Cofidis unterschrieben. „Es werden Rennen kommen, bei denen ich zeigen kann, was ich draufhabe“, sagt der 24-Jährige. Zuletzt in Kanada ist Mathis das nicht gelungen – er kam nicht ins Ziel. Möglich ist übrigens, dass Mathis trotz der Reisestrapazen zwischen Europa und Nordamerika am Sonntag beim Kriterium in Wangen mitfährt. „Wenn alles klappt, möchte ich da am Start stehen“, sagt er. Mathis wäre in Wangen einer der bekanntesten Fahrer. „Ich freue mich auf das Rennen und hoffe auf viele Zuschauer.“
Das 85. Internationale Radkriterium in Wangen startet Sonntag ab 14 Uhr. Gefahren wird um das „Goldene Rad der Stadt Wangen“.