Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine gestohlene Klarinette taucht wieder auf
Ein spannendes und ergreifendes Erzählkonzert in Wolfegg
WOLFEGG - „Eine Beziehungsgeschichte mit Musik“, so haben die Ludwigsburger Schlossfestspiele die Matinee mit dem Klarinettisten Manfred Lindner genannt, die am Sonntagmorgen in der ausverkauften Alten Pfarr zu erleben war. Bei einem Glas Wein habe er Thomas Wördehoff, dem Intendanten der Schlossfestspiele, die Geschichte seiner verschwundenen Klarinette erzählt, die ihn selbst so tief berührt hatte, dass er auch jetzt noch seine Emotionen nicht verbergen konnte. „Du spielst heute wie der Teufel“, hatte ein Kollege gesagt, als er endlich wieder darauf spielen konnte – doch was da hinter ihm lag, hatte sein ganzes Selbstverständnis als Musiker erschüttert, hatte ihn über sein Leben nachdenken lassen.
Warm und weich hatte sich seine Klarinette zum Auftakt mit dem ersten Fantasiestück op. 73 von Robert Schumann ins Ohr geschmeichelt, ein Lied zum Träumen an diesem sonnigen Spätsommertag. Am Klavier war ihm Kalle Randalu ein sanfter Begleiter. Dann plauderte Lindner, begann damit, wie er mit neun Jahren vom Saxofonsolo in Peter Maffays „Über sieben Brücken musst du gehen“so hingerissen war, dass er unbedingt Saxofon lernen wollte. Doch in der Blaskapelle lenkte man ihn zur Klarinette und schon bald fuhr er, um noch mehr zu lernen, von Plochingen zum Unterricht ans Staatstheater Stuttgart. Sein erstes Opernerlebnis, der „Fliegende Holländer“sei vollends der Durchbruch gewesen. „Du studierst Klarinette in Detmold“, sagte sein Lehrer und bestellte auch gleich die passenden Klarinetten für ihn. Auch wenn sein Vater, der ihn immer unterstützt hatte, nicht wusste, wie er die teuren Stücke bezahlen sollte, hat er sie 1983 bekommen. Sie sind ihm vertraut geworden, ein Leben ohne sie war nicht denkbar, doch im Herbst 2009, vor einem Flug nach Warschau, sind sie im Flughafen gestohlen worden: ein Schock, ein GAU, das Musikerleben war scheinbar zerstört.
Nur mühsam habe er sich mit den Ersatzinstrumenten anfreunden können, hatte den Verlust fast vergessen, als er acht Jahre danach einen Anruf bekam: Auf einem Flohmarkt in Albanien waren die Instrumente aufgetaucht. Der Finder erkannte ihren Wert, fand anhand der Seriennummern heraus, dass sie gestohlen waren, und wollte sie dem Besitzer zurückgeben. Per DHL kamen sie dann, in Plastik verpackt, zurück, mit Originalkoffer, Tuch und Mundstück. Überglücklich ließ er sie generalüberholen, spielt sie wieder – siehe oben – „wie der Teufel“.
Zart, luftig und feurig
Schon die Erzählung allein hätte einen vergnüglichen Morgen beschert, umso mehr aber, als sie in ein bezauberndes Konzert eingebettet war. Zart und luftig und zuletzt feurig zogen Schumanns drei Fantasiestücke vorüber, die Lindner damals in Warschau hätte spielen sollen. Empfindsam folgte Franz Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“mit der jungen irischen Sopranistin Aoife Gibney. Ergreifend, wie hier die Klarinette als Echo auf die sehnsüchtige Stimme des Hirten antwortet, wie sie zuletzt mit den hellen Koloraturen mitjubelt: „Der Frühling will kommen!“
Eine melodienselige, romantische „Danse fantastique“von Paul Juon leitete die Auflösung von Lindners Geschichte ein. Wunderbar endete der Morgen mit Johannes Brahms‘ spätem Trio op. 114 für Klarinette, Violoncello und Klavier mit Martin Ostertag am Violoncello. Ergreifend, wie die drei reifen Musiker die Gefühlstiefe des Werks ausloteten, wie sie die Seelen ihrer Instrumente zum Klingen brachten. Tiefgründig das altersmilde Adagio, anmutig tanzend das Andantino grazioso, überschwänglich zuletzt das heitere Allegro.