Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Geheimrat Dr. Oldenburg soll weiterleben
In Bavendorf werden mehr als 600 alte Apfelsorten erhalten – Früchte genügen Markt-Anforderungen nicht
RAVENSBURG - Klein und knallrot sind die Äpfel der Sorte Wilhelmskircher. Aus dem Supermarktregal kennt man sie nicht. Im Sortengarten des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee (KOB) in Bavendorf haben die Äpfelchen aber ihren Platz. Mehr als 660 alte Apfelarten, die sonst vielleicht schon verschwunden wären, werden dort erhalten. Beim Tag des offenen Sortengartens am Samstag können Interessierte die alten Früchte kennenlernen.
Warum drohen alte Apfelsorten zu verschwinden?
Der Leiter der Sortenerhaltungszentrale Baden-Württemberg am KOB, Ulrich Mayr, nennt vier Gründe dafür. Erstens entsprechen sie nicht den Ansprüchen des modernen Handels, der Äpfel mit 70 bis 75 Zentimeter Durchmesser will, deren Schale zu etwa 60 Prozent rot ist. Die einst angebauten Äpfel seien zu klein und zu schwach gefärbt. Zweitens: Die Bäume alter Sorten tragen mal viele Früchte, mal wenige – ein Problem für den Bauern, der vom Ertrag leben will. Drittens reifen sie laut Mayr ungleichmäßig. Das heißt, dass ein Teil der Äpfel schon am Boden liegt, während der Rest noch unreif am Baum hängt. „Früher war es gewünscht, dass die Äpfel zu unterschiedlichen Zeiten reifen, weil es keine Lagermethode gab.“Heute wolle ein Bauer mit zwei Mal Pflücken die ganze Ernte eingefahren haben. Viertens haben viele alte Sorten dem Experten zufolge eine schlechte „Wohnzimmertauglichkeit“– sie werden schnell schrumpelig oder schützen sich durch eine Fettschicht vor dem Austrocknen, was vielen Verbrauchern nicht gefalle. Kunden wollen demnach Äpfel, die auch nach einer Woche noch knackig sind.
Weshalb werden die alten Sorten trotzdem erhalten?
„Es handelt sich um ein Kulturgut, das man schützen muss“, sagt Mayr. Damit eine Apfelsorte in den Sortengarten aufgenommen wird, muss sie in historischen Quellen beschrieben oder abgebildet worden sein. Am KOB befindet sich die Sortenerhaltungszentrale Baden-Württemberg. Zwei Mitarbeiter sind im ganzen Land unterwegs, um noch unbekannte Apfelsorten zu finden. Weil es immer weniger Streuobstwiesen gebe, finden sie laut Mayr nicht mehr viel Unbekanntes.
Wie alt sind „alte“Sorten?
Im Bavendorfer Sortengarten stammen die ältesten aus dem 13. Jahrhundert. Die „Blütezeit“erlebte der Apfel in Deutschland laut Mayr im 18. und 19. Jahrhundert, als auch die Sortenvielfalt auf einem vorläufigen Höhepunkt angekommen war. Damals wurden noch viele Mostäpfel angebaut und pro Tag und Kopf im Schnitt ein bis zwei Liter Most getrunken.
Stimmt es, dass alte Sorten gesünder sind als neue?
Nein, sagt der Experte, so allgemein lasse sich das nicht sagen. Die These komme daher, dass einige alte Mostobstsorten viele Polyphenole enthalten. Polyphenole sind Gerbstoffe, die im Mund ein pelziges Gefühl hinterlassen, so Mayr, und als gesund gelten. Tafelobstsorten – egal ob alte oder neuere – enthalten deshalb weniger davon. Da die Polyphenole direkt unter der Schale sitzen, haben kleine Äpfel mehr davon als große, was wiederum für alte Sorten sprechen könnte. Letztlich sei der Apfel aufgrund der Vielfalt aus Vitaminen, Spurenelementen, Mineralstoffen und Ballaststoffen sowie bioaktiven Substanzen, zum Beispiel Polyphenolen, gesund.
Woher haben alte Sorten ihre Namen?
In den Namen haben sich laut Mayr zum Teil ihre Entdecker verewigt, wie etwa Geheimrat Dr. Oldenburg, manchmal sind sie nach Fundorten oder Persönlichkeiten benannt. Geschmack oder Eigenschaften könnten ebenfalls eine Rolle gespielt haben – beim Schmalzprinz oder einem Zitronenapfel vielleicht.
Was passiert mit den Äpfeln aus dem Sortengarten?
Die alten Sorten werden immer wieder von Vereinen oder Organisationen gebraucht, unter anderem vom Bauernhausmuseum Wolfegg, um sie bei Veranstaltungen vorzustellen. Was noch an den Bäumen hängt, wird letztlich zu Saft oder Most verarbeitet.
Wie verändert sich die Sortenvielfalt heute noch?
Trends am Lebensmittelmarkt haben laut Mayr Einfluss: Grüne und gelbe Äpfel seien aus der Mode gekommen. Zweifarbig sei gerade „in“. Mayr hat eine neue rotfleischige Sorte mitentwickelt, die im Frühling in Ballungsgebieten in den Testverkauf gehen soll und einen neuen Trend im Obstregal setzen könnte.
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